Martin Schäfer hat in Bonn studiert und zu einem Thema an der Schnittstelle zwischen Verfassungs- und Völkerrecht promoviert. Nach dem Referendariat hat er zunächst als Anwalt gearbeitet, heute ist er in der Rechtsabteilung der Stadt Köln tätig, wo er sich um straßen- und straßenverkehrsrechtliche Themen kümmert. Im Interview geht es unter Anderem darum, die für einen selbst richtige Arbeitsweise zu finden, den Wert des Austauschs mit Kolleg:innen sowie welche Fähigkeiten aus der Promotionszeit heute noch besonders hilfreich sind.
Wann begann und wann endete Deine Promotionsphase? Vor oder nach dem Referendariat?
Ich habe direkt im Anschluss an das erste Examen mit der Arbeit an der Dissertation begonnen. Meine Disputation fand im zweiten Monat meines Referendariats statt.
Wie lief Deine Promotion ab? Wann hast Du mit der Themensuche begonnen, wann hattest Du das Thema gefunden und festgelegt, wann hast Du Deine Schriftfassung final abgegeben, wann war die Disputatio/Rigorosum? Und welche wichtigen Zwischenschritte gab es dazwischen?
Ende 2015 oder Anfang 2016 stand die Entscheidung, dass ich promovieren würde. Ab April 2016 war ich dann Wissenschaftlicher Mitarbeiter und würde das als „offiziellen“ Start meiner Promotion sehen.
Die Themensuche hat zum Glück nicht lange gedauert, weil ich ein Thema vorgeschlagen habe, von dem ich wusste, dass mein Betreuer es akzeptieren würde. Wegen der völkerrechtlichen Bezüge hat es auch mir gut gepasst; sonst hätte ich es nicht vorgeschlagen.
Ich habe zunächst einige Gliederungen entworfen und dann eine 30-seitige Kurzfassung der Arbeit geschrieben. Das hat ziemlich genau ein Jahr gedauert. Daran schlossen sich dann zwei Jahre an, in denen ich die eigentliche Dissertation geschrieben habe. Abgegeben habe ich die Arbeit genau am letzten Tag meiner WissMit Zeit zeitgleich mit einem Lehrstuhlkollegen. Im Anschluss sind wir mit einem Bier an den Rhein.
Die Disputatio war dann rund drei Monate später. Die Gutachter waren also sehr zügig. Das hat das Ganze sehr angenehm gemacht, weil ich noch dementsprechend gut über meine Arbeit Bescheid wusste.
Wie hast Du Deinen Doktorvater/Deine Doktormutter gefunden?
Ich war zuvor studentische Hilfskraft bei meinem Doktorvater. Nach dem ersten Examen bin ich dann sozusagen zum Wissenschaftlichen Mitarbeiter und Doktoranden aufgestiegen.
Wie bist Du auf Dein Thema gekommen? Wie sah die Ausgangsfassung Deines Themas aus und wie entwickelte es sich im Laufe der Promotion?
Gegen Ende des Studiums hatte ich eigentlich den Wunsch zu einem „streng“ völkerrechtlichen Thema zu promovieren. Ich wusste aber, dass ich dafür nicht ganz am richtigen Lehrstuhl bin. Also habe ich mir ein Thema gesucht, dass einige völkerrechtliche Bezüge hat und von dem ich gleichzeitig wusste, dass mein Doktorvater es betreuen würde. Zu dem Zeitpunkt damals wurde eine Entscheidung des BVerfG zu der Frage des Treaty Override erwartet. Das Phänomen war also in der Diskussion gerade recht präsent und ich war zuversichtlich, dass mein Doktorvater ja sagen würde, wenn ich es vorschlage. So ist es dann auch gekommen. Offen gestanden habe ich es mir also auch etwas leicht gemacht mit der Themensuche.
Das Thema hat sich dann auch nicht mehr groß entwickelt. Nicht klar war mir zu Beginn allerdings, dass am Ende meine Arbeit weite Passagen rechtstheoretische Ausführungen zum Stufenbau der Rechtsordnung und Normenkollisionen enthalten würde. Auf diese Schiene hat mich mein Betreuer gesetzt, ohne dass ich es zunächst merkte. Ich habe mich aber recht zügig damit angefreundet und heute bin ich froh darüber.
Hast Du ein Exposé geschrieben? Wenn ja, was hat es Dir gebracht?
Ein klassisches Exposé in dem Sinne, dass ich erkläre, dass und wieso Forschungsbedarf zu einem bestimmten Thema besteht und welches Erkenntnisinteresse ich verfolge, habe ich nicht geschrieben. Stattdessen habe ich auf Wunsch meines Betreuers eine 30-seitige Kurzfassung der Arbeit geschrieben, damit er erkennen konnte, was meine Kernthesen werden sollten. Das kam daher, dass die Überschriften meiner Gliederungen ihm nicht „sprechend“ genug waren. Er konnte also nicht erkennen, worauf ich mit bestimmten Abschnitten hinauswollte.
Ich war, wenn ich mich richtig erinnere, der einzige im Kolleg:innenkreis, der so vorgehen sollte. Nach einigen Wochen merkte ich aber, dass es wohl eine gute Idee war. Heute weiß ich es. Ich musste die Arbeit dadurch schon von vorne bis hinten im Wesentlichen durchdacht haben. Dadurch konnte ich frühzeitig eine Vorstellung davon bekommen, wie sich die Thesen miteinander vertragen und ob und ggfs. wo es Widersprüche oder ähnliches gibt.
Ich habe die Kurzfassung auch inkl. Fußnoten geschrieben. Der wesentliche Rechercheteil war also erledigt. Beim Schreiben der langen Fassung ging es bzgl. des Fußnotenapparats dann tatsächlich “nur” noch um Quantität. Das qulitative Element war erledigt, weil ich für die Kurzfassung bereits mit den interessanten Primärquellen gearbeitet habe.
Was fiel Dir bei der Recherche besonders schwer? Wie hast Du Literatur und Notizen verwaltet und organisiert? Hast du irgendwelche Tipps?
Es war eine Herausforderung, die ein der andere Primärquelle zu beschaffen. Denn zum Verhältnis des nationalen zum internationalen Recht wird seit über 100 Jahren geforscht. Und einige Klassiker gehören dann einfach rezipiert. Sie physisch in die Finger zu bekommen, war aber nicht in jedem Fall einfach.
Groß sortiert habe ich meine Literatur nicht. Für kopierte Aufsätze hatte ich einige Aktenordner. Die waren dann auch grob thematisch sortiert. Die Bücher standen schlicht bei mir im Büro im Regal. Meine Fußnoten habe ich von Hand getippt. Kollegen benutzten EndNote. Ich selbst hatte aber nie die Geduld, mich da rein zu fuchsen. Weil meine Arbeit vergleichsweise kurz ist, hatte ich auch nie das Gefühl, den Überblick zu verlieren.
Wie lief das Schreiben bei Dir ab? Hast Du von Anfang an geschrieben oder erst nach Abschluss der Recherche? Hast Du Tipps und Ratschläge zum Schreiben?
Zunächst sollte ich eine Gliederung erstellen. Im Anschluss daran habe ich die Kurzfassung meiner Arbeit mit den wesentlichen Thesen und Erkenntnissen geschrieben. Nachdem diese Kurzfassung mit meinem Doktorvater besprochen war, habe ich damit begonnen, die Arbeit von vorne nach hinten zu schreiben. Die Recherche war zu diesem Zeitpunkt also zum größten Teil abgeschlossen. Aber ich habe auch während des Schreiben regelmäßig neue Literatur gefunden, die mir zuvor noch nicht untergekommen war. Zum Glück war da inhaltlich nichts weltbewegend Neues dabei, sodass ich meine Thesen nicht noch ändern musste. Die Auswirkungen waren überwiegend auf den Fußnotenapparat begrenzt.
Beim Schreiben selbst versuche ich immer, so zu arbeiten, dass das Geschriebene möglichst stehen bleiben kann. Ich sitze also eine Zeit lang an einem Satz und komme dementsprechend langsam voran. Und auch die Fußnoten setze ich sofort vollständig. Am nächsten Tag überarbeite ich zunächst kurz das am Vortag geschriebene, bevor ich etwas neues schreibe.
Ich möchte hier explizit kein bestimmtes Vorgehen empfehlen. Ich habe im Bekanntenkreis ja miterlebt, dass sehr unterschiedliche Vorgehensweisen gleichermaßen zu ganz hervorragenden Ergebnissen führen können. Letztlich muss man – hoffentlich kluge – Sätze zu Papier bringen. Wie einem das am besten gelingt, ist gleichgültig.
Welche Überarbeitungsschritte waren für Dich am Wichtigsten? Hattest Du Korrektur-Leser?
Planmäßige Überarbeitungsphasen hatte ich nicht. Überarbeitet habe ich dann, wenn ich Input von meinem Betreuer bekommen habe. Oder selten auch mal, wenn ich zufällig noch einen Punkt entdeckt habe, der zu einem Abschnitt gehörte, von dem ich dachte, er sei fertig. Aber das war – wie gesagt – eher selten.
Wie hast Du Dich auf die Disputatio vorbereitet? Wie hast Du die Thesen ausgewählt? Wie verlief die Disputatio und die Diskussion?
An den Vortrag und die anschließende Diskussion kann ich mich kaum noch erinnern. Im Kopf geblieben ist mir, dass mein Doktorvater mir im Anschluss gesagt hat, dass es eine klasse Leistung gewesen sei. Sowas behält man natürlich.
Vorbereitet habe ich mich im Wesentlichen mit den Gutachten. Da beide Gutachter nicht lange gebraucht hatten, hatte ich die Arbeit noch gut im Kopf. Ich musste sie nicht noch einmal lesen. In den Gutachten wurde natürlich auch Kritik an meiner Arbeit geübt. Die Gutachten haben deutlich gemacht, wenn sie etwas nicht überzeugend fanden. Ich hatte mir vorgenommen, diese Punkte offensiv anzugehen und für den Vortrag noch ein Argument für meine Positionen zu finden, das noch nicht in der Schriftfassung enthalten war. Ich glaube, es kam ganz gut an, dass ich meine Positionen selbstbewusst verteidigt habe. Ich habe also durchaus nochmal richtig Gedankenarbeit geleistet – aber bezogen auf das, was die Gutachter aufgegriffen hatten.
Meinen Vortrag habe ich Wort für Wort ausgeschrieben, damit ich die Zeichen zählen konnte. Das hilft mir, fast perfekt im zeitlichen Rahmen zu bleiben, weil ich weiß, wie viele Zeichen pro Minute ich spreche. Ich glaube, ich habe für die Disputatio mit 900 Zeichen pro Minute gerechnet. Leerzeichen werden auch als Zeichen gezählt. Etwaige Füllwörter (also Wörter, die man benutzt, um den Vortrag etwas aufzulockern, die aber in einer schriftlichen Fassung nie zu finden wären) auch – sonst wird die Zählung sehr ungenau. Ich kann mir vorstellen, dass alles unter 800 Zeichen in der Regel zu langsam und über 1000 Zeichen in der Regel zu schnell sein wird.
Bei der Thesenauswahl war ich vermutlich zu großzügig. Sie umfassten drei DIN-A4 Seiten. Im Nachhinein würde ich sagen, dass es auch knapper hätte sein können, weil nicht alle Thesen Neuigkeitswert hatten.
Wie lange hat es von der Disputatio zur Veröffentlichung gedauert? Wie verlief der Veröffentlichungsprozess? Hast Du im Anschluss deine Dissertation vermarktet? Wie?
Von der Disputatio bis zum fertigen Buch hat es sieben Monate gedauert. Ich habe die Arbeit beim Verlag eingereicht und dann auf das Votum der Herausgeber gewartet. Nach dem positiven Votum mussten noch ein paar Kleinigkeiten am Layout angepasst werden. Ich hatte aber schon während des Schreibens des Manuskripts darauf spekuliert, bei einem bestimmten Verlag zu veröffentlichen und dementsprechend die Formatierung gewählt. Hinzu kommt das Erstellen eines Stichwortverzeichnisses und natürlich das Korrekturlesen der Druckfahnen.
Vermarktet habe ich die Arbeit nicht. Einen Post bei LinkedIn konnte ich mir aber nicht verkneifen, als dann die Belegexemplare bei mir ankamen. Ein bisschen stolz ist man ja doch.
Wie hast Du Dich motiviert, an der Stange zu bleiben? Was hat Dir in schweren Zeiten, bei Zweifeln etc. geholfen?
Das kann ich im Nachhinein gar nicht mehr genau sagen. Ich glaube, ich wollte einfach beweisen, dass ich es kann. Und abgesehen von Aspekten der Eitelkeit hat es mir phasenweise natürlich auch Freude gemacht. Ich schreibe ganz gerne und empfinde es als schöne Herausforderung, die eigenen Gedanken so zu sortieren und zu formulieren, dass auch andere sie verstehen und sich damit auseinandersetzen können.
Ungemein geholfen haben mir die Kolleg:innen des Lehrstuhls. Gar nicht mal so sehr mit Input zu inhaltlichen Details; dafür stecken alle zu sehr in ihrem eigenen Thema. Aber die Möglichkeit, auch einfach mal Frust abzuladen und dabei auf Verständnis zu treffen, ist sehr viel wert.
Hattest Du irgendein Forum für Austausch mit anderen Doktorand*innen? Eine Arbeitsgruppe?
Die Kolleginnen und Kollegen des Lehrstuhls haben mir ganz hervorragend mit Rat und einem offenen Ohr zur Seite gestanden. Dafür bin ich nach wie vor sehr dankbar. Losen Austausch gab es natürlich auch mit befreundeten Kolleg:innen von anderen öffentlich-rechtlichen Lehrstühlen.
Wie hast du Deine Promotionsphase finanziert? Was waren die Vor- oder Nachteile?
Ich hatte eine halbe Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl meines Doktorvaters. Die Vorteile lagen für mich auf der Hand: sichere Bezahlung, eigenes Büro am Lehrstuhl und Support durch die studentischen Hilfskräfte (lieben Dank an dieser Stelle!), enger Kontakt zu den Kolleg:innen, kurzer Weg zum Betreuer.
Es besteht aber das Risiko, dass man mehr arbeitet, als die 50%, die im Vertrag stehen oder sich auch sonst zu sehr von den anderen Projekten des Lehrstuhls ablenken lässt. Für mich hat es allerdings funktioniert. Ich hatte drei Jahre für das Schreiben der Arbeit eingeplant und es auch in dieser Zeit geschafft.
Wenn Du Dir selbst früher oder heute anfangenden Doktorand*innen drei Tipps bzw. Ratschläge geben könntest – welche wären das?
Ich möchte eigentlich nur einen einzigen Ratschlag geben. Und das ist, dass man nicht zu viel auf die – wenn auch gut gemeinten – Ratschläge anderer geben sollte. Mit etwas Abstand kann ich sagen, dass es unendlich viele verschiedene Wege zu einer erfolgreichen Promotion geben kann. Eine Dissertation zu schreiben, ist in jedem Fall anstrengend. Also sollte man sich diejenigen Faktoren, die man beeinflussen kann, so angenehm wie möglich gestalten. Und das bedeutet, so zu arbeiten, wie es für einen selbst funktioniert und nicht unbedingt so, wie es einem von den meisten geraten wird. Aber das heißt natürlich nicht, dass best practices anderer nicht auch für einen selbst funktionieren können.
Was hat Dir der Doktortitel und/oder die Promotionsphase als solche persönlich und beruflich gebracht? Was hast du in der Zeit neben dem Fachlichen gelernt? Inwiefern profitierst Du heute noch davon? Würdest Du Dich wieder für eine Promotion entscheiden? Was würdest Du wieder so machen, was ändern?
Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob mir der Doktor beruflich etwas gebracht hat. Jedenfalls habe ich bisher noch keine Stelle gehabt, bei der eine Promotion Einstellungsvoraussetzung gewesen wäre. Aber es klingt natürlich schön und schadet sicherlich nicht. Und wenn man in einer dienstlichen Besprechung mit Abstand der Jüngste ist, hilft der Doktor vielleicht, um dann doch nicht als das ahnungslose Kind wahrgenommen zu werden.
Neben dem fachlichen im engen Sinn habe ich mir über die Promotion eine gewisse Sorgfalt angeeignet. Damit meine ich zum Beispiel, dass man sich zur Sicherheit eben doch noch die Primärquelle besorgt; dass man zur Sicherheit doch noch den einen Aufsatz mehr liest; dass man zur Sicherheit doch noch einmal in den Text oder das Gesetz guckt, den bzw. das man glaubt zu kennen. Ich habe gelernt, es mir nicht zu leicht zu machen. Und ich glaube, dass dieser Anspruch an Genauigkeit auch in meinem heutigen Kolleg:innenkreis geschätzt wird.
Insgesamt habe ich mit meiner Promotionsphase in der Rückschau eine sehr gute Erfahrung gemacht. Zwischendurch hatte ich natürlich auch Phasen großer Frustration und intensiver Selbstzweifel. In diesen Phasen hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich einmal sagen würde, ich würde es noch einmal genauso machen. Aber mit ein paar Jahren Abstand kann ich tatsächlich sagen: „Ich würde es noch einmal genauso machen.“
Vielen Dank für das Interview!
Wenn Du mehr dazu lesen möchtest, weshalb es sich lohnt, ein Exposé (oder eine Kurzfassung) zu schreiben, und wie man das macht, schau gerne in diesen Beitrag. Alle weiteren Interviews findest Du hier.