Heute soll es um ein Thema gehen, über das meines Erachtens viel zu wenig gesprochen wird: Selbstzweifel. Gerade in der Promotionsphase, in der es keinen vorgezeichneten Weg gibt, und in dem die allermeisten zum ersten Mal ein so großes Projekt angehen, kommen Selbstzweifel wohl bei jedem hoch. In diesem Beitrag soll es genau darum gehen und darum, wie man mit ihnen umgehen kann.
Du bist nicht allein.
Der erste wichtige Punkt, den man sich gar nicht oft genug ins Gedächtnis rufen kann, ist, dass man mit Selbstzweifeln nicht allein ist. Ich habe die starke Vermutung, dass sie uns alle betreffen, auch wenn nicht gerne darüber gesprochen wird. Auf jeden Fall kann ich sagen, dass ich auch Selbstzweifel hatte und habe.
Ist mein Thema spannend genug? Werde ich eine gute Lösung finden? Was, wenn ich nicht rüberbringen kann, was ich meine? Was, wenn andere im Nachhinein noch einen großen Fehler entdecken? Kann ich das überhaupt durchziehen? Bin ich nicht viel zu langsam? Ich kann das doch alles gar nicht!
Solche und ähnliche Gedanken haben mich in der Promotionsphase immer wieder heimgesucht. Und jetzt kann ich sagen, dass sie in vielerlei Hinsicht unberechtigt waren. Mittlerweile habe ich die Dissertation abgegeben und sie wurde gut benotet, sie soll in einer renommierten Schriftenreihe erscheinen. Das sage ich nicht, um anzugeben, sondern um zu zeigen, dass auch die Menschen, die allgemein als “erfolgreich” angesehen werden, Selbstzweifel haben. Oder das zumindest ich sie hatte und habe.
Selbstzweifel können produktiv sein.
Selbstzweifel sind eine Form von Angst. Und Angst ist ein ganz natürlicher Mechanismus, um unser Überleben zu sichern. Wenn man Tieren die Fähigkeit zur Angst nimmt, sterben sie ziemlich schnell. Angst ist wichtig und Selbstzweifel können es auch sein, zumindest wenn sie ein gesundes Maß nicht überschreiten.
Selbstzweifel können uns helfen, kritisch zu bleiben, gegenüber dem, was wir tun und wie wir es tun. Ein wichtiger Bestandteil von Wissenschaft entsteht genau daraus, dass man sich selbst, seine Methode und Ergebnisse hinterfragt. Insofern kann man Selbstzweifel auch als produktiven Teil des Prozesses begreifen. In dem Moment, in dem wir Selbstzweifel als wichtig und vielleicht sogar produktiv auffassen, nehmen wir ihnen gleich ein Stück Macht.
Allerdings ist es nicht immer leicht, die produktiven von den destruktiven Selbstzweifeln zu trennen. Ein erster Anhaltspunkt ist, ob sich Selbstzweifel auf das Thema oder etwas anderes konkret Greifbares beziehen. Selbstzweifel bezogen auf die eigene Person (“ich bin nicht gut genug”), sind dagegen selten produktiv.
Drüber reden hilft. Dir und anderen.
Ganz konkret kann es helfen, Selbstzweifel auszusprechen. Manche Gedanken, die im eigenen Kopf total plausibel waren, klingen gegenüber anderen ausgesprochen plötzlich eher lächerlich und abwegig. Manche Selbstzweifel haben aber auch einen berechtigten Kern und wirken nicht lächerlich, sondern haben durch das Aussprechen nur viel weniger Kraft und Macht. Bei solchen Selbstzweifeln kann das Aussprechen (oder auch nur für sich Aufschreiben) der erste Schritt sein, produktiv mit ihnen umzugehen, das eigentliche, hinter den Selbstzweifeln liegende Problem zu erkennen und sich Lösungswege zu überlegen.
Wenn man die eigenen Selbstzweifel (gegenüber den richtigen Personen) anspricht, kann das außerdem dabei helfen, zu sehen, dass Selbstzweifel ganz normal sind. Und selbst, wenn andere sie nicht aussprechen, kannst du vielleicht ihnen helfen und damit deine eigenen Selbstzweifel zu etwas Positivem machen. Als ich am Ende des Studiums war und mir langsam überlegt habe, dass ich vielleicht promovieren möchte, wurde an der Uni Bonn das Justitia-Programm zur Förderung von Frauen in der Rechtswissenschaft auf die Beine gestellt. Bei der ersten Vorstellungsrunde haben ein paar Doktorandinnen und Habilitandinnen davon berichtet, dass sie Selbstzweifel haben. Mir hat das unheimlich viel Kraft und Mut gegeben und mich überzeugt, dass ich es versuchen “darf”, trotz der Selbstzweifel. Ich rufe mir dieses Erlebnis immer wieder ins Gedächtnis.
Glaub den Beweisen.
Selbstzweifel sind vor allem deshalb schwierig, weil man ihnen wenig entgegenzusetzen hat. Sich selbst zu loben und eigene Stärken zu betonen, wird schnell als angeben ausgelegt, sodass wir darin häufig viel zu wenig Übung haben. Aber Selbstzweifel existieren erst einmal nur im Kopf und zumindest in unserem Kopf dürfen wir auch so viel “angeben”, wie wir wollen.
Wir können uns zunächst mal darauf berufen, was wir eigentlich schon alles geschafft haben. Das Abitur zum Beispiel. Und ein juristisches Staatsexamen, vielleicht sogar zwei. Wir haben Seminararbeiten und Hausarbeiten geschrieben, häufig über Themen, die uns weit weniger interessiert haben und uns weniger lagen als unser Promotionsthema. Wir haben im Laufe des Studiums Dinge verstanden, die uns am Anfang völlig schleierhaft waren. Außerdem hatte jede*r von uns persönliche Herausforderungen, die sie*er gemeistert oder jedenfalls überstanden hat. Und auch schon in diesen Phasen hatten wir meistens Selbstzweifel, wenn wir genau drüber nachdenken. Wir können meist mehr, als wir uns zutrauen.
Wer schon eine Weile an der Dissertation arbeitet, kann sich auch ansehen, was sie oder er schon alles geschafft hat. Häufig sind die Texte viel besser, als man sie in Erinnerung hatte und dann sieht man, dass man nicht so unfähig ist, wie die Selbstzweifel es einem einreden möchten. Das muss auch nicht unbedingt Dissertations-Text sein, sondern geht zB auch mit dem Exposé.
Aber wir müssen uns auch gar nicht auf uns selbst verlassen. Es gibt ja andere Menschen, die uns eine Promotion zutrauen. Und dabei rede ich nicht (nur) von Freunden und Familie, sondern ganz Besonders von der Doktormutter oder dem Doktorvater. Die haben wenig Interesse, jemanden als Doktorand*in anzunehmen, wenn sie*er nicht dafür geeignet ist und am Ende abbricht oder mit einer schlechten Note beendet. Sie haben auch das Thema abgesegnet oder sogar vorgeschlagen. Und mal ehrlich, wer sind eigentlich wir, dass wir die Meinung von Professor*innen in Frage ziehen, die schon seit Jahren oder Jahrzehnten Wissenschaft machen und Doktorand*innen betreuen?
Und im schlimmsten Fall…?
Jetzt mal ehrlich, was wäre denn, wenn all die Selbstzweifel zuträfen? Dann würden wir die Dissertation irgendwann hinschmeißen. Oder wir würden durchfallen. Oder die Dissertation wird im Nachhinein zerrissen. Oder, oder, oder… Alles keine schönen Szenarien. Es würde uns damit erst mal ziemlich schlecht gehen, keine Frage. Und danach?
Danach haben wir immer noch eine berufliche Perspektive. Ein Doktortitel ist für die wenigsten Berufe eine zwingende Voraussetzung. Noch weniger, dass die Dissertation auch gut benotet ist oder in der Wissenschaft anerkannt wird. Uns stehen noch so viele juristische und nicht juristische Tätigkeiten offen. Klar, “scheitern” macht sich im Lebenslauf nicht besonders gut. Aber die wenigsten Kanzleien, Gerichte, Behörden oder Unternehmen können es sich leisten, jemanden abzulehnen, weil sie*er die Promotion nicht abgeschlossen hat. Und wenn man offensiv damit umgeht, kann “Scheitern” im Lebenslauf vielleicht sogar zu einer Stärke werden, weil es zeigt, dass man sich nicht unterkriegen lässt.
Das Einzige, das wir “verloren” haben werden, ist die Zeit. Zum einen hat man aber auch ohne Doktortitel in der Promotionsphase viel gelernt und hatte auch im Privaten Zeit für tolle Projekte und schöne Erlebnisse. Die Zeit ist nicht wirklich verloren. Zum anderen: was sind schon zwei oder drei Jahre im Kontext eines ganzen Lebens?
Auch abseits der Karriere hängt das Lebensglück nicht am Doktortitel oder überhaupt am beruflichen “Erfolg”. Da gibt es so viele viel wichtigere Faktoren. Physische und psychische Gesundheit und erfüllende Beziehungen zum Beispiel.
Auch im schlimmsten Fall können wir glücklich werden. Allen Selbstzweifeln zum Trotz.