Meine heutige Interviewpartnerin Svenja Wachtel hat in Kiel und an der Columbia Law School studiert und in Hessen ihr zweites Staatsexamen gemacht. Heute ist sie Anwältin in einer Großkanzlei und betreibt den Blog Digital Coffee Break in Arbitration. Das Interview heute ist etwas anders, denn Svenja hat ihre Promotion (bisher) nicht beendet, obwohl sie 400 Seiten Text fertig geschrieben hat. Sie spricht darüber, wie es dazu kam, und was ihr die Promotionszeit trotzdem gebracht hat.
Zu welchem Thema hast Du promoviert?
Das ist eine gute Frage, die nicht so einfach zu beantworten ist. Ursprünglich wollte ich über Karl Larenz in der NS-Zeit, welche er größtenteils in Kiel verbrachte, promovieren. Hier wurde mir aber nahe gelegt, dieses Vorhaben nicht umzusetzen und mich einem Professor der “Kieler Schule” zu widmen, zu dem noch nicht so viel geforscht wurde. So bin ich dann zu dem Kieler Arbeitsrechtler Wolfgang Siebert übergegangen. Leider hatte bereits jemand vor mir mit dem Thema begonnen und da der Austausch von laufenden Promotionen damals (vielleicht ist das heute anders) nahezu nicht existierte, war also mein Thema plötzlich fertig – nur eben ohne meine Zutun.
Schließlich habe ich mich der “Kieler Schule” und hier insbesondere den Biographien der einzelnen Professoren während der NS-Zeit gewidmet. Auch hier wurde eine Arbeit zu dem Thema fertiggestellt, bevor ich komplett durch war, so dass es eigentlich zwei Mal meine Promotion gibt, aber ohne dass mein Name draufsteht 😉
An welcher Hochschule?
An der Uni an der ich auch studiert habe, der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Wann begann und endete Deine Promotionsphase? Vor oder nach dem Referendariat?
Ich habe mein Promotionsvorhaben nach dem ersten Staatsexamen begonnen und nebenbei – zum Glück – gearbeitet. Als ich mit dem Referendariat anfing, war der erste Rutsch der Promotion durch. Ich habe dann noch immer mal wieder daran gearbeitet, allerdings bekanntermaßen nicht abgeschlossen.
Was machst Du heute?
Ich bin Anwältin bei Willkie Farr & Gallagher LLP im Bereich Litigation/Arbitration.
Warum hast du dich dazu entschieden, zu promovieren?
Ich fand und finde Rechtsgeschichte wahnsinnig spannend und dachte, dass es mir Spaß machen würde, über ein bestimmtes Gebiet wirklich so vertieft Bescheid zu wissen, wie es eine Promotion mit sich bringt.
Wie hast Du Dein Thema gefunden?
Ich hatte in meiner allerersten Vorlesung das große Glück den – leider viel zu früh verstorbenen – Professor Jörn Eckert zu hören. Er hat Rechtsgeschichte unfassbar gut vermitteln können und nie vergessen aufzuzeigen, wie die Bezüge zum heutigen Recht und zur heutigen Gesellschaft sind. Professor Eckert hat mich von all meinen deutschen Professoren am meisten geprägt. So war mein Interesse auch direkt für eine bestimmte Zeit geweckt. Und das Interesse an Geschichte im Allgemeinen und Rechtsgeschichte im Besonderen besteht noch immer.
Wie kam es zum Abbruch der Promotion? Wann hast du das erste Mal ernsthaft darüber nachgedacht? Wann und warum hast du dich endgültig dazu entschieden?
Es gab keinen konkreten Moment des Abbruchs, weil ich immer davon ausgegangen bin, dass ich die Arbeit beende und fertigschreibe. Ich habe vermutlich noch immer nicht gänzlich damit abgeschlossen vielleicht doch irgendwann mal diese Promotion abzuschließen oder einfach ein neues Thema zu beginnen. Das dann aber voraussichtlich erst, wenn ich Rentner bin.
Die Arbeit liegt jetzt seit längerer Zeit im Schrank, aber ich habe so viele andere Sachen, die mir aktuell mehr Spaß machen, die mich mehr beschäftigen, die mich persönlich deutlich mehr bereichern, als an dieser Arbeit zu sitzen, dass ich auch schlicht keine Zeit mehr habe.
Ich glaube auch, dass ein bewusster “Abbruch” einer Promotion eher selten ist. Vielmehr ist es häufig so, dass man irgendwann anfängt zu arbeiten oder teilweise arbeitet und die Zeit, die man mit der Promotion verwendet weniger wird, die Arbeit aber einen immer größeren Stellenwert einnimmt, so dass das Ende eher schleichend kommt.
Du hast jetzt keinen Doktortitel – aber was hast Du stattdessen aus Deiner Promotionszeit mitgenommen?
Vermutlich ähnliche Dinge wie Personen mit einem Titel. Ich habe ja knapp 400 Seiten fertig geschrieben hier liegen, die allerdings aus Forschungssicht wertlos sind, da wie gesagt auch zu meinem letzten Thema eine Dissertation zeitgleich erschienen ist. Während meiner Promotionszeit habe ich vor allem viel in Archiven gearbeitet und war tagelang auf der Suche nach Informationen, Dokumenten oder spannenden Details. Am Ende habe ich noch immer irgendwas gefunden oder konnte zumindest sagen, dass ich nun wirklich jeden Stein umgedreht habe. Das ist auch im echten Arbeitsleben hilfreich: Gründlichkeit und Ausdauer (auch wenn es nicht immer Freude macht, den x-ten Kommentar zur gleichen Problematik zu lesen).
Während meiner Promotion habe ich in der Rechtsabteilung eines Unternehmens gearbeitet und habe da für mich persönlich sehr viel mitgenommen. Trotz meines damals noch relativ jungen Alters durfte ich viel selbst entscheiden, war viel unterwegs und habe einen komplett anderen Eindruck gewonnen von der Arbeitswelt. Die Kontakte, die ich dort geknüpft habe, habe ich noch heute und ich habe unglaublich viel gelernt, was mir verwehrt geblieben wäre, wenn ich nicht promoviert und damit nicht in Teilzeit gearbeitet hätte.
Würdest Du Dich rückblickend trotzdem wieder entscheiden, eine Promotion zu beginnen?
Mit dem Wissen von heute würde ich vermutlich nicht nochmal promovieren. Es ist schlicht unvorhersehbar was passiert und es hat mir – jedenfalls nach meinem Wissen – nicht geschadet keinen Doktortitel zu haben.
Was würdest du einer promovierenden Person raten, die darüber nachdenkt, abzubrechen?
Der Vorteil ist, dass man nirgendwo offiziell einreichen muss, dass man jetzt abgebrochen hat. Man kann eine Pause einlegen. Man kann die Arbeit erstmal in den Keller stellen und irgendwann vielleicht weitermachen. Wer eventuell einen richtigen Abbruch und einen festen Zeitpunkt für sich selbst benötigt, an dem Schluss ist – egal wie – dann ist das natürlich eine Option. Aber der übliche Fall ist, dass jemand ohnehin schon als Rechtsanwalt arbeitet und plötzlich zwei, vier, zehn, zwanzig Monate ins Land ziehen und man nicht mehr an der Arbeit gesessen hat. Da findet keine bewusste Entscheidung statt, dass man in Monat 21 jetzt abbricht.
Was würdest du jemandem raten, die*der darüber nachdenkt, ob eine Promotion für sie*ihn das Richtige ist?
Es kommt immer stark darauf an, was man später mal machen möchte. Soweit man sich eine universitäre Laufbahn, ein Richteramt oder eine Tätigkeit in einer deutsch geprägten Kanzlei vorstellen kann, dann ist es sicherlich eine Überlegung wert zu promovieren. Bei internationalen Kanzleien ist das nicht zwingend erforderlich und gerade im internationalen Umfeld werden “die Deutschen” mit ihrem Doktortitel ohne Arzt zu sein, häufig etwas liebevoll belächelt.
Stattdessen ist in einer Großkanzlei die fließende Beherrschung der englischen Sprache unerlässlich. Da böte sich vermutlich eher ein LL.M. aus dem Ausland an als die Promotion – soweit man sich zwischen diesen beiden Alternativen entscheiden möchte. Der Vorteil des LL.M. ist, dass man einen festgesetzten zeitlichen Rahmen hat. Man ist nicht von dem Doktorvater/der Doktormutter abhängig und kann daher nahezu sicher davon ausgehen am Ende wirklich einen Titel zu haben. Bei der Promotion ist das leider nicht so klar vorhersehbar. Daher ist die Auswahl des richtigen Doktorvaters/der richtigen Doktormutter absolut essentiell, um die Dissertation erfolgreich abschließen zu können.
Gibt es sonst noch etwas, was Du gerne sagen möchtest?
In all den Jahren habe ich festgestellt, dass es deutlich mehr Leute in der Arbeitswelt gibt, die mal eine Promotion begonnen haben ohne sie abzuschließen als ich angenommen habe. Jede/r findet seinen/ihren Weg, sei es nun mit oder ohne Promotion und die Zeit, die man investiert, ist nie verloren, sondern hat einfach ein anderes Ende als ursprünglich angenommen.
Das Interview wurde im November 2021 geführt.