Dr. Verena Roder-Hießerich hat in Bonn studiert und promoviert, ihre Dissertation wurde mit dem Telekom-Preis für Zivilrecht ausgezeichnet. Heute arbeitet sie als Rechtsanwältin im Gesellschaftsrecht in einer großen deutschen Kanzlei. Im Interview spricht sie darüber, wie sie ihr Thema gefunden hat und über Synergie-Effekte durch die parallele Arbeit am Lehrstuhl.

Zu welchem Thema haben Sie promoviert?

Methodik des EuGH im Urheberrecht

Wann begann und endete Ihre Promotionsphase? Vor oder nach dem Referendariat? Was machen Sie heute?

2011 bis Sommer 2015, nach dem Referendariat.

Wie lief Ihre Promotion ab? Wann haben Sie mit der Themensuche begonnen, wann hatten Sie das Thema gefunden und festgelegt, wann haben Sie Ihre Schriftfassung final abgegeben, wann war die Disputatio(n)/das Rigorosum? Und welche wichtigen Zwischenschritte gab es dazwischen?

Die Themensuche begann parallel zum Referendariat. Ich glaube, dass ich die Schriftfassung Anfang 2015 abgegeben habe, es kann aber auch früher gewesen sein (es kam mir vor, als hätte es ewig gedauert!). Die Disputation war im Juli 2015, am Tag des Sommerfestes im Juridicum, das war ein schöner Zufall. Begleitet wurde die Promotion von regelmäßigen Gesprächen mit dem Doktorvater und einem privaten Doktorandentreffen, um inhaltliche Fragen zu diskutieren und „am Ball“ zu bleiben.

Wie haben Sie Ihren Doktorvater/Ihre Doktormutter gefunden?

Der Kontakt war hergestellt, da ich freiwillig eine Seminararbeit bei ihm geschrieben hatte (zur Probe), die sehr gut bewertet wurde. Außerdem hatte mich mein ehemaliger Chef, Prof. Dr. Zimmer, im Gespräch über mögliche Promotionsthemen an Prof. Dr. Leistner verwiesen, da ich mich eher für den europäischen Blickwinkel interessiert hatte (damals: Verbraucherleitbild).

Wie sind Sie auf Ihr Thema gekommen? Wie sah die Ausgangsfassung Ihres Themas aus und wie entwickelte es sich im Laufe der Promotion?

Mein Doktorvater hatte das Thema „Reverse Engineering“ angeregt, dies entsprach allerdings nicht meinen Interessen. Das Thema hat sich dann während der Arbeitszeit am Lehrstuhl ergeben, mein Doktorvater forschte in Richtung „Werkbegriff“ und hat eine Kommentierung dazu verfasst. Für den Kommentar haben wir sehr viel EuGH-Rechtsprechung gesichtet und besprochen. Daraus hat sich der Wunsch entwickelt, die Behandlung des EuGH des Werkbegriffs zu bearbeiten. Letztlich ist das Thema viel allgemeiner geworden und ich habe die gesamte Rechtsprechung ausgewertet und viele Aspekte, nicht nur den Werkbegriff untersucht. Daraus wurde dann der Verlagstitel „Die Methodik des EuGH im Urheberrecht“.

Haben Sie ein Exposé geschrieben? Wenn ja, was hat es Ihnen gebracht?

Ich habe kein formelles Exposé geschrieben, aber vor dem ersten Feedback-Gespräch mit meinem Doktorvater eine Gliederung erstellt, um zu beschreiben, was mir vorschwebt.

Was fiel Ihnen bei der Recherche besonders schwer? Wie haben Sie Literatur und Notizen verwaltet und organisiert? Haben Sie irgendwelche Tipps?

Wir hatten einen guten Support bei der Recherche durch den Lehrstuhl. Ich habe damals noch analog gearbeitet.

Wie lief das Schreiben bei Ihnen ab? Haben Sie von Anfang an geschrieben oder erst nach Abschluss der Recherche? Haben Sie Tipps und Ratschläge zum Schreiben?

Ich habe tendenziell immer parallel zur Recherche geschrieben, da die Masse an Informationen sonst nicht zu verarbeiten gewesen wäre. Dadurch mag der Umfang des Werkes zugenommen haben. Natürlich gab es immer wieder lange Phasen, an denen die Zeit vollständig für Lehrstuhl-Tätigkeiten aufgewendet werden musste und man erst nach langer Zeit wieder zur eigenen Dissertation zurückkehren konnte. Allerdings gab es auch Synergien durch Schnittstellen der Themen bei der Lehrstuhlarbeit und der Dissertation.

Welche Überarbeitungsschritte waren für Sie am Wichtigsten? Hatten Sie Korrektur-Leser?

Meine Tante, nun über 80 Jahre alt, hat sprachlich und auf Tippfehler Korrektur gelesen. Inhaltlich gab es regelmäßige Rückmeldung im privaten Doktorandenseminar und von den Lehrstuhlkollegen und vom Doktorvater.

Wie haben Sie sich auf die Disputatio vorbereitet? Wie haben Sie die Thesen ausgewählt? Wie verlief die Disputatio und die Diskussion?

Ich habe einen kurzen prägnanten Vortrag zu meinem Thema vorbereitet und mich auf eine aktuelle Entscheidung gestützt, anhand derer ich mein Thema vorgestellt habe. Es lief alles sehr entspannt und freundlich. Der anwesende Professor aus dem Arbeitsrecht hat eigene Überlegungen in den Raum gestellt und wir haben diskutiert, ob sich meine Untersuchung übertragen lässt.

Wie lange hat es von der Disputatio zur Veröffentlichung gedauert? Wie verlief der Veröffentlichungsprozess?

Ich hatte den Verlag schon vorab gesucht, daher habe ich das Manuskript Ende August 2015 einreichen können, 6-7 Wochen nach der Disputation. Im September 2015 habe ich angefangen, als Rechtsanwältin zu arbeiten. Im Herbst 2015 habe ich dann – parallel zur Arbeit und unterstützt durch meine Tante – die Druckfahnen abends Korrektur gelesen. Veröffentlicht wurde die Dissertation im Mohr Siebeck Verlag im Frühjahr 2016.

Wie haben Sie sich motiviert, an der Stange zu bleiben? Was hat Ihnen in schweren Zeiten, bei Zweifeln etc. geholfen?

Meine Lehrstuhlkolleginnen und Kollegen sowie das private Doktorandenseminar haben sehr geholfen, etwaige schwierige Phasen zu überwinden. Auch meine Familie hat mich immer unterstützt.

Hatten Sie irgendein Forum für Austausch mit anderen Doktorand*innen? Eine Arbeitsgruppe?

Ja, ein privates Doktorandenseminar mit Doktoranden anderer Lehrstühle. Das war auch inhaltlich sehr interessant, da man „über den Tellerrand“ schauen konnte.

Die Mitgliedschaft in dem privaten Doktorandentreffen habe ich „geerbt“. Es bestand bereits eine feste Gruppe, lehrstuhlübergreifend. Als mein Lehrstuhl-Kollege mit seiner Dissertation fertig war, durfte ich seinen Platz einnehmen.

Wir haben uns in längeren Abständen abends getroffen. Haben Pizza bestellt und uns erst einmal lange über die aktuelle Situation ausgetauscht. Es hatte also etwas von einer Art „Selbsthilfegruppe“. Wir haben viel darüber gesprochen, dass es neben der Lehrstuhlarbeit schwierig ist, konsequent an der Dissertation zu arbeiten etc.

Bei jedem Termin hat ein Teilnehmer aus seiner Dissertation berichtet. Zu Beginn habe ich beispielsweise mein Projekt in groben Zügen vorgestellt, die anderen haben dies dann kommentiert und wir haben über Parallelen und Bezüge gesprochen (die natürlich nur sehr vereinzelt bestanden).

Später habe ich konkrete Ergebnisse berichtet und gegen Ende dann den Gesamtzuschnitt diskutiert. Nach einer solchen Besprechung habe ich beispielsweise einen Teil zum Thema Vorlageverfahren beim EuGH gestrichen.

Wie haben Sie Ihre Promotionsphase finanziert? Was waren die Vor- oder Nachteile?

50% – Stelle als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl. Vorteil war die enge Anbindung, der Support durch den Lehrstuhl und die Synergieeffekte aufgrund Überschneidungen bei den Forschungsfeldern. Nachteil war, dass es von der Arbeitsbelastung abhing, ob man zum Arbeiten an der Dissertation kam. Die Vereinbarung war, dass die starke Arbeitsbelastung durch Lehrstuhltätigkeit in der Endphase der Promotion durch Entlastung ausgeglichen wird.

Die Druckkosten wurden teilweise durch Druckkostenzuschüsse finanziert. Darüber hinaus habe ich nach der Promotion einen (zweckungebundenen) Preis der deutschen Telekom für meine zivilrechtliche Dissertation erhalten, den ich leider (als Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit) versteuern musste, da das Finanzamt und das Finanzgericht angenommen haben, dass  der Preisgewinn eine Frucht der Lehrstuhltätigkeit war. Dadurch haben natürlich „externe Doktoranden“, die nicht arbeiten, einen Vorteil, nämlich den, dass der Preis wohl nicht zu versteuern ist. Dies halte ich nach wie vor für zweifelhaft, da man als Doktorand nicht promoviert mit dem Zweck, am Ende einen Preis dafür zu gewinnen. Auch ist es m.E. nicht zwingend, dass ein Promotionspreis die „Kehrseite der Medaille“ dafür ist, dass man die Druckkosten als Werbungskosten absetzen kann (denn dies geschieht als vorweggenommene Werbungskosten für die spätere Tätigkeit als Rechtsanwältin).

Haben Sie einen Forschungsaufenthalt oder Ähnliches gemacht? Wo? Und was hat es Ihnen gebracht?

Ich habe keinen Forschungsaufenthalt gemacht. Allerdings hatte ich die Möglichkeit, das Thema Urheberrecht den Studierenden an der Universität in Warschau näher zu bringen. Das war sehr schön, da Studierende und Betreuer sehr nett waren und man einen Einblick in die Rechtskultur und politische Strömungen in Polen gewinnen konnte.

Wenn Sie sich selbst früher oder heute anfangenden Doktorand*innen drei Tipps bzw. Ratschläge geben könnten – welche wären das?

1. Durchhalten

2. Nicht entmutigen lassen

3. Trotz aller Selbstzweifel am Ende wirklich abgeben!

Was haben Ihnen der Doktortitel und/oder die Promotionsphase als solche persönlich und beruflich gebracht? Was haben Sie in der Zeit neben dem Fachlichen gelernt? Inwiefern profitieren Sie heute noch davon? Würden Sie sich wieder für eine Promotion entscheiden? Was würden Sie wieder so machen, was ändern?

Der Doktortitel ist die Einstiegskarte in größere Kanzleien und wird offiziell oder inoffiziell häufig vorausgesetzt. Daher würde ich behaupten, dass die Höhe meines Gehalts, zumindest zu Beginn als Berufseinsteigerin, auf dem Titel basierte. Ich habe in der Zeit vertieftes wissenschaftliches und sauberes Arbeiten gelernt. Das kommt mir heute noch zu Gute, da die Kanzlei für die ich tätig bin auch einen gewissen wissenschaftlichen Ansatz hegt. Ich würde mich wieder für eine Promotion entscheiden. Es könnte allerdings – gerade, wenn man nach dem Referendariat promoviert – womöglich sinnvoll sein, sich thematisch bereits in die Richtung zu orientieren, in der man tätig sein möchte. Ich bin derzeit bestrebt, die Themen Immaterialgüterrecht, Steuerrecht und Gesellschaftsrecht zu kombinieren und die Schnittstellen aufzuzeigen und zu nutzen.


Das Interview wurde im Mai/Juni 2021 geführt.