Für meine Dissertation im Europäischen Internationalen Zivilverfahrensrecht habe ich mich naturgemäß sehr viel mit Urteilen des Europäischen Gerichtshofs beschäftigt. Aber auch in vielen anderen Rechtsgebieten wird europäisches Recht und damit EuGH-Rechtsprechung immer wichtiger. In diesem Beitrag möchte ich daher ein paar Tipps und Tricks teilen, die ich gelernt habe, um mit EuGH-Urteilen gut arbeiten zu können.

Ich beziehe mich dabei konkret auf Urteile im Vorlageverfahren, bei dem also ein nationales Gericht den EuGH um die Klärung einer Frage gebeten hat, weil ausschließlich diese für meine Dissertation relevant waren. Sie dürften auch für die meisten anderen Rechtsgebiete – abseits des Kern-Europarechts und Kartellrechts – die relevanteste Entscheidungsform sein.

EuGH-Urteile finden und zitieren

Der beste Weg, EuGH-Urteile zu finden (wenn man schon weiß, nach welchem Urteil man sucht), ist meines Erachtens die Seite EUR-Lex, die in allen europäischen Amtssprachen zur Verfügung steht. Dort gibt man am besten die Parteinamen ein, mit denen EuGH-Urteile üblicherweise zitiert werden (s.u.). In der Regel bekommt man für ein Verfahren gleich mehrere Treffer, nämlich einmal die im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Leitsätze und einmal das gesamte Urteile mit den Entscheidungsgründen. Außerdem findet man häufig noch die Schlussanträge des Generalanwalts oder der Generalanwältin. Diese sind meistens noch einmal deutlich ausführlicher als die Urteile des EuGH, weshalb es sich zumindest bei Schlüsselurteilen lohnt, diese ebenfalls zu lesen.

Urteile des EuGH werden typischerweise etwas anders zitiert als deutsche Urteile, nämlich mit den Parteinamen. Dabei gibt es natürlich nicht eine einzige richtige Zitierweise, sondern wie immer Abweichungen im Detail. Ich habe EuGH-Urteile in meiner Dissertation wie folgt zitiert:

EuGH, Urt. v. 03.05.2007 – C-386/05, Color Drack ./. Lexx International, ECLI:EU:C:2007:262

Eine ausführliche Erklärung zur Zitierweise gibt es hier.

Aufbau von EuGH-Urteilen

Foto: Gerichtshof der Europäischen Union

Der Aufbau eines EuGH-Urteils kann, wenn man sonst nur nationale Urteile gewöhnt ist, etwas verwirren. Vor allem aber sind EuGH-Urteile häufig sehr lang – wenn man den Aufbau durchschaut hat, fällt es leichter, den wichtigen Teil des Urteils zu finden.

Nach dem Rubrum kommt eine kurze Einleitung und dann der “Rechtliche Rahmen”. Dort werden alle Normen in voller Länge zitiert, die der EuGH für relevant erachtet. Wenn man sich mit dem Rechtsgebiet auskennt, kann man diesen Teil meistens überspringen. Hilfreich ist dieser Abschnitt vor allem, wenn dort nationale Gesetze zitiert werden, die für die Entscheidung eine Rolle spielen. Dann ermöglichen sie es auch Leser*inenn aus anderen Ländern, die Entscheidung nachzuvollziehen. Bei Änderungen der europäischen Rechtsnormen kann es auch hilfreich sein, die der Entscheidung zugrundeliegenden Fassung schnell finden zu können.

Danach beginnt der eigentlich relevante Teil des Urteils mit der Sachverhaltsdarstellung (im Vorlageverfahren: “Ausgangsverfahren und Vorlagefragen”). Dabei kann vor allem die genaue Formulierung der Vorlagefragen wichtig sein, um die Entscheidung des EuGH nachzuvollziehen. Allerdings legt der EuGH die Vorlagefragen mitunter auch großzügig aus oder interpretiert sie sogar um.

Es folgen die eigentlichen Entscheidungsgründe (im Vorlageverfahren: “Zu den Vorlagefragen”). Gibt es mehrere Vorlagefragen, hält sich der EuGH nicht immer an die vom nationalen Gericht vorgegebene Reihenfolge, sondern zieht häufig verschiedene Fragen zusammen oder beantwortet sie in der Reihenfolge, die ihm am besten erscheint. Innerhalb der Antwort zu einer Vorlagefrage beginnt der EuGH typischerweise mit allgemeinen Erwägungen zu der Richtlinie oder der Verordnung und den zugrundeliegenden Grundsätzen, die es zu beachten gilt. Die Beantwortung der eigentlichen Frage fällt im Vergleich zum sonstigen Urteil mitunter sehr knapp aus und lässt viel Spielraum für Interpretation. Gerade dann kann es hilfreich sein, auch die Schlussanträge des Generalanwalts oder der Generalanwältin zu lesen.

Nach der Kostenentscheidung finden sich ganz unten die Leitsätze des Urteils.

Rund um EuGH-Urteile

Manchmal kann es für das Verständnis des Urteils auch hilfreich sein, das Urteil in anderen Sprachfassungen zu lesen. Die Sprachfassungen sind zwar alle gleichermaßen verbindlich, dennoch finden sich manchmal Unterschiede in den Details, die eine Interpretation bestimmter Passagen erleichtern kann. Auf der verlinkten Seite findet man ganz oben die EuGH-Urteile in allen offiziellen Sprachfassungen. Die Verfahrenssprache ist mit einem Stern gekennzeichnet. Es besteht auch die Möglichkeit, sich mehrere Sprachfassungen nebeneinander anzusehen (“Mehrsprachige Anzeige”), um so konkrete Passagen miteinander zu vergleichen.

Wer sich mit Europäischem Recht und Urteilen des EuGH befasst, sollte versuchen, – soweit es die Sprachkenntnisse und Verfügbarkeit in der jeweiligen Bibliothek zulassen – auch Literatur aus anderen europäischen Ländern auszuwerten. Denn es kann nur dann einen Europäischen Raum des Rechts geben, wenn wir auch über Grenzen hinweg über Europäisches Recht diskutieren. Unabhängig von diesem ideologischen Grund gibt es in ausländischer Literatur mitunter ganz neue Impulse, die die eigenen Lösungsansätze und Argumente noch einmal in eine neue Richtung bringen. Wenn man nicht gerade in dem jeweiligen Land studiert hat, ist es allerdings nicht immer ganz einfach, diese ausländische Literatur zu finden. Ein guter Ausgangspunkt sind die bei dem jeweiligen EuGH-Urteil aufgeführten Urteilsanmerkungen. Man findet sie, wenn man links oben auf “Informationen zum Dokument” klickt und dann zum Reiter “Hintergrund” scrollt.


Noch ein kleiner Tipp am Rande, der nicht nur fürs Lesen von EuGH-Urteilen und ausländischen Urteilsanmerkungen, sondern generell bei fremdsprachiger Literatur unheimlich hilfreich ist: Auf IATE (Interactive Terminology for Europe) findet man für verschiedenste (Rechts-)Begriffe die Pendants in den verschiedenen Amtssprachen der Europäischen Union. Im Gegensatz zu üblichen Übersetzern oder nicht juraspezifischen Wörterbüchern hat diese Plattform den Vorteil, dass dabei auch angezeigt wird, in welchem Kontext (zB Recht – IP Recht) ein bestimmter Begriff verwendet wird.


Arbeitet ihr mit Urteilen des EuGH? Habt ihr noch weitere Tipps und Tricks?

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