Es gibt Ratschläge, die man nie wieder vergisst. Manchmal liegt das an einer besonders guten Formulierung, manchmal daran, dass der Ratschlag genau zur richtigen Zeit kam. Ich habe das Glück, von vielen klugen und hilfsbereiten Menschen durch die Promotionszeit begleitet zu werden und viele gute Ratschläge bekommen zu haben. Drei davon sind mir besonders im Gedächtnis geblieben und tauchen immer wieder in meinem Kopf auf. Heute möchte ich sie teilen.

“Das erste Gebot fairen Argumentierens lautet: Mache deinen Gegner stark!”*

In meinem letzten Semester hatte ich das Glück, die Vorlesung “Methodenlehre” bei Prof. Dr. Puppe besuchen zu dürfen. Ich habe mir häufig gewünscht, ich hätte das Fach schon vor der Examensvorbereitung belegt, weil ich darin wirklich viel über die juristischen Methoden gelernt habe, das mir auch in Klausuren geholfen hätte. Der Aufruf zur fairen Diskussion von Prof. Puppe hat mich ganz besonders begleitet: “Das erste Gebot fairen Argumentierens lautet: Mache deinen Gegner stark!”

Es geht in einer wissenschaftlichen Diskussion nicht darum, “zu gewinnen”, sondern das richtige oder das beste Ergebnis zu finden. Dieses Ergebnis kann man nur finden, wenn man sich auch die Gegenseite ehrlich anhört und nicht von Vornherein nur die schwächsten Argumente wahrnimmt, wiedergibt und widerlegt.

Aber Prof. Puppe geht noch einen Schritt weiter: man soll die Gegenseite nicht nur ehrlich anhören, man soll ihr sogar helfen. Das kann bedeuten, dass man ein missverständliches Argument einer Meinung durch eine eindeutige und klare Formulierung ersetzt. Oder dass man eine andere Meinung weiterentwickelt. Dabei darf man aber nicht den Vertretern der Meinung diese Fortentwicklung unterstellen und es muss sich wirklich um den Versuch handeln, ausgemachte Schwächen zu verbessern. Erst wenn man die so gestärkte Gegenmeinung immer noch widerlegen kann, geht man als ehrlicher “Sieger” aus der Diskussion heraus.

Spiegelbildlich bedeutet faire Argumentation meines Erachtens auch, Schwächen der eigenen Ansicht offen zuzugeben und deutlich zu machen, weshalb die Ansicht der eigenen Meinung nach dennoch überzeugt. In der rechtswissenschaftlichen Diskussion geht es am Ende häufig darum, welche Wertung sich durchsetzt – aber das darf bzw. sollte man auch offen legen. Natürlich ist es schwierig, den Spagat zwischen Offenheit der eigenen Schwächen und einem überzeugenden Text zu schaffen. Wenn man es richtig macht, wird der Text aber gerade dadurch überzeugender, dass man die Schwächen zugibt.

“Eine juristische Dissertation ist kein Kriminalroman.”**

Diesen Rat seines eigenen Doktorvaters, Prof. Dr. Häsemeyer, hat mein Doktorvater an mich weitergegeben. Konkret bedeutet das (für mich): die Dissertation muss nicht spannend sein, weil das Ergebnis noch offen ist, es ist vielmehr in Ordnung und richtig, das Ergebnis gleich voranzustellen und es dann nach und nach zu belegen. Die Spannung entsteht aus der Frage nach der Begründung des Ergebnisses. In der Hinsicht gleicht eine Dissertation vielleicht eher einem klassischen Liebesroman – dass sich die Protagonisten am Ende “kriegen” ist meist von Vornherein klar, spannend ist der Weg dahin.

Das Ergebnis an den Anfang zu stellen, hat mehrere Vorteile. Der Leser weiß von Beginn an, auf welches Ergebnis die Argumentation hinausläuft. Er kann die Argumente schon im Hinblick auf das Ergebnis bewerten und sich damit schneller und besser eine eigene Meinung bilden. Außerdem werden die meisten Leser die Dissertation ja gar nicht von Vorne nach Hinten vollständig lesen. Die große Vielzahl der Leser lesen nur die Einleitung und/oder die Zusammenfassung am Ende. Da ist es klug, direkt das zentrale Ergebnis in der Einleitung voranzustellen. Der Leser kann dann auch besser entscheiden, ob das Ergebnis spannend genug ist, dass er sich mit der Begründung näher auseinandersetzen möchte.

Ich jedenfalls bin überzeugt, dass meine Schriftfassung deutlich besser geworden ist, seit ich mir diesen Rat immer wieder ins Gedächtnis rufe. Und ich habe auch gemerkt, dass ich andere Arbeiten, die nach diesem Motto geschrieben sind, in der Regel besser und überzeugender finde.

“Es muss schwer fallen, sonst wird es nicht gut.”**

Diesen Rat hat mir meine Chefin zu Beginn der Promotionszeit, Prof. Dr. Sanders, mit auf den Weg gegeben. Wenn die Lösung zum zentralen Problem der Dissertation einfach wäre, wäre es vermutlich kein gutes Dissertationsthema, sondern höchstens einen Aufsatz wert. Das gilt insbesondere dann, wenn es kein neues Thema ist, sondern schon eine ganze Weile in Rechtsprechung und Literatur diskutiert wird.

Außerdem gibt es in der Rechtswissenschaft nur selten ein richtiges und ein falsches Ergebnis. In der Regel gibt es für beide Seiten gute Argumente, die sich hören lassen. Dann ist es ganz normal, dass man während der Arbeit an der Dissertation zwischen den Meinungen schwankt und an der eigenen Lösung zweifelt – oder sogar verzweifelt. Natürlich ist es kein sicheres Zeichen dafür, dass die Arbeit gut wird, wenn es schwer fällt, sich zu entscheiden und diese Meinung dann auch zu begründen. Aber es ist eben auch kein Zeichen für die eigene Unfähigkeit, sondern ein ganz normaler Bestandteil des Prozesses. Und dieser Gedanke hat mich so manches Mal sehr getröstet.


(*) So formuliert in Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, 3. Aufl. 2014, S. 258. Dieses Buch sollte meiner Meinung nach ohnehin jede*r Jurist*in gelesen haben – und immer wieder lesen.
(**) Aus dem Gedächtnis wiedergegeben.


Welche Ratschläge begleit(te)en euch durch die Promotionsphase? Bei welchen Ratschlägen hättet ihr euch gewünscht, sie vielleicht schon früher bekommen zu haben?