Dr. Nadja Harraschain unmittelbar nach der Verteidigung

Dr. Nadja Harraschain ist Gründerin und Geschäftsführerin von der an Juristinnen gerichteten Karriereplattform breaking.through sowie Rechtsreferendarin am OLG Frankfurt am Main. Daneben ist sie in weiteren Initiativen aktiv. Regelmäßig publiziert sie und hält Vorträge zum Schiedsverfahrensrecht einerseits und zu Karriereperspektiven von Juristinnen andererseits. Ihre Arbeiten sind für mehrere Preise nominiert worden. Im Interview berichtet sie von ihrem dreimonatigen Forschungsaufenthalt an der Columbia Law School in New York, davon, wie sich ihr Thema geändert hat und gibt Tipps zur Promotion mit Kind.

Zu welchem Thema hast Du promoviert?

Zu Multiple Proceedings in Investor-State Dispute Settlement. Dabei habe ich mich mit der Besonderheit im internationalen Investitionsschutzrecht auseinandergesetzt, dass auf Grundlage verschiedener bi- und multilateraler Investitionsschutzabkommen mehrere Glieder einer Investitionskette unmittelbar Ansprüche gegen einen Staat geltend machen können, obwohl die Klagen im Kern immer ein und dieselbe Handlung des Staats gegen ein Unternehmen betreffen.

Im Gegensatz zum herkömmlichen nationalen Gesellschaftsrecht, in dem der Investor in der Regel darauf beschränkt ist, den Wertverlust seiner Unternehmensanteile mittelbar durch eine Klage des von der Maßnahme unmittelbar betroffenen Unternehmens wiederherzustellen, besteht hier für den Staat das reelle Risiko, sich in derselben Sache mehrfach verteidigen zu müssen. Hieraus ergeben sich insbesondere wiederum das Risiko widersprüchlicher Entscheidungen sowie unauflösliche Widersprüche bei der Schadenskompensation.

In meiner Arbeit habe ich schwerpunktmäßig untersucht, ob und inwieweit sich das Risiko multipler Verfahren im Rahmen des aktuellen Rechts minimieren lässt und was ggf. vonnöten wäre, um das Risiko noch weiter zu verringern.

Wann begann und endete Deine Promotionsphase? Vor oder nach dem Referendariat?

Sie begann im Anschluss an mein erstes Staatsexamen und endete mit meinem Kolloquium kurz vor Beginn meines Referendariats.

Was machst Du heute?

Ich bereite mich auf meine schriftlichen Prüfungen für das zweite Staatsexamen vor. Außerdem bin ich Gründerin und Geschäftsführerin von breaking.through.

Wie lief Deine Promotion ab? Wann hast Du mit der Themensuche begonnen, wann hattest Du das Thema gefunden und festgelegt, wann hast Du Deine Schriftfassung final abgegeben, wann war die Disputatio/Rigorosum? Und welche wichtigen Zwischenschritte gab es dazwischen?

Mit der Themensuche habe ich im Herbst 2014 begonnen und das Thema noch im Winter festgelegt. Anfang 2016 habe ich einen drei Monate langen Forschungsaufenthalt an der Columbia Law School in New York absolviert. Irgendwann in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 habe ich den Fokus meiner Arbeit verschoben und daraufhin etwa ein Jahr lang Quellen dazu gesammelt und durchgearbeitet. Abgegeben habe ich die erste Schriftfassung dann ziemlich genau ein Jahr nachdem ich mit dem Schreiben angefangen hatte, am 31.12.2018. Die finale Abgabe erfolgte im Juli 2019. Mein Kolloquium fand nur zwei Monate später statt.

Wie hast Du Deinen Doktorvater/Deine Doktormutter gefunden?

Ich kannte meine Doktormutter bereits durch meine Teilnahme am Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot während meiner Studienzeit. Ich habe den Vis Moot während meines Studiums als Teilnehmerin und als Coach der Universität Freiburg zweimal durchlaufen. Meine Doktormutter ist dort jedem ein Begriff, weil sie Mitherausgeberin des Kommentars zum UN-Kaufrecht ist, an zahlreichen Pre-Moots teilnimmt und häufig eine der Schiedsrichter*innen in den Finalrunden ist. In dieser Zeit waren wir uns schon mehrfach begegnet, etwa als sie mich im Halbfinale im Hongkonger Wettbewerb geschiedst hat.

In Betracht gezogen habe ich sie aber erst, nachdem ich den Tipp von einem Freund erhalten hatte. Ich hatte zu der Zeit mehrere Angebote von Professoren bekommen bei ihnen zu promovieren, aber keiner von ihnen hatte nennenswerte Erfahrungen im Schiedsverfahrensrecht. Ich wollte aber meine Kenntnisse im Schiedsverfahrensrecht erweitern und auf Englisch promovieren. Als ich besagtem Freund davon erzählte, der damals für sie arbeitete, brachte er sie ins Spiel. Daraufhin habe ich mich eigeninitiativ bei ihr beworben.

Für die Bewerbung bin ich mit einem klassischen Motivationsschreiben und meinem CV per E-Mail an sie herangetreten. In dem Motivationsschreiben habe ich mein Interesse an dem von mir ausgewählten Rechtsgebiet, mein Interesse an einer Promotion und an einer Betreuung durch sie begründet. Außerdem habe ich einige vorläufige Themenvorschläge eingearbeitet.

Wie bist Du auf Dein Thema gekommen? Wie sah die Ausgangsfassung Deines Themas aus und wie entwickelte es sich im Laufe der Promotion?

Das war aus meiner Sicht ein nervenaufreibendes Thema. Ich hatte nie vor, lange nach einem Thema zu suchen. Entsprechend habe ich mich schnell dankbar auf einen Themenvorschlag meiner Doktormutter eingelassen und mich begeistert in die Arbeit gestürzt.

Nach einigen Monaten stellte ich aber fest, dass eine Schweizer Juristin gerade eine Doktorarbeit zu dem Thema veröffentlicht hatte, deren Grundaufbau weitgehend identisch mit meinem geplanten Aufbau war. Darüber hinaus hatten wir beide eine rechtsvergleichende Untersuchung derselben vier Rechtsordnungen ins Zentrum unserer Arbeit gestellt. Auch sie hatte ihre Arbeit auf Englisch verfasst. Daraufhin verlor ich erst mal die Motivation für das Thema.

Nach einer Reevaluierung entschied ich mich, am Thema dran zu bleiben, den Fokus aber von der Handelsschiedsgerichtsbarkeit auch auf die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit auszuweiten. Während meiner Arbeit wurde dann immer deutlicher, dass beides zu untersuchen den Rahmen einer Doktorarbeit bei weitem gesprengt hätte. Also entschied ich mich letztlich, mich nur noch auf die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zu konzentrieren. Dafür musste ich das Thema allerdings wiederum ausweiten.

Letztlich hat sich alles wunderbar gefügt. Nichtsdestotrotz ist es eine Ironie der Geschichte, dass zu dem letzlich von mir gewählten Thema während meiner Promotion zahlreiche Doktorarbeiten erschienen sind.

Hast Du ein Exposé geschrieben? Wenn ja, was hat es Dir gebracht?

Ich habe ein Exposé für eine Stipendiumsbewerbung geschrieben. Für meine Arbeit hat es allerdings nicht viel gebracht.

Was fiel Dir bei der Recherche besonders schwer? Wie hast Du Literatur und Notizen verwaltet und organisiert? Hast du irgendwelche Tipps?

Die Recherche war weitgehend erfreulich einfach, da mein Thema so international war, dass ich fast gar nicht an den Bestand einer bestimmten Bibliothek angewiesen war. Stattdessen konnte ich beinahe sämtliche Quellen – ob Literatur oder Rechtsprechung – digital abrufen.

Ich persönlich arbeite gerne erst mal alles durch, bevor ich mit dem Schreiben beginne. Das hilft mir, eine Argumentationsstruktur zu entwickeln und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Daher habe ich erst mal sehr, sehr viel gelesen. Als ich dann endlich einen für mich sinnvollen roten Faden erarbeitet und eine dazu passende Gliederung erstellt hatte, habe ich aus sämtlichen meiner Materialien Auszüge extrahiert, die mir wichtig erschienen, und diese erst mal unverändert in ein einziges Word-Dokument unter die passende Gliederungsebene kopiert. So hatte ich, als ich mit dem Schreiben anfing, ein ca. 700-Seiten langes Dokument mit möglichst vielen Originalzitaten. Dabei habe ich alles in Citavi eingearbeitet. Erst danach habe ich alles runtergeschrieben.

Diese Vorgehensweise hat sich für mich aus zweierlei Gründen bewährt. Erstens erfasse ich wie gesagt immer gerne möglichst viel, bevor ich mir eine Meinung bilde und sie zu Papier bringe. Zweitens ließ sich mein Thema nur schlecht abschichten, das heißt in kleineren Einheiten recherchieren. Zahlreiche der von mit verwendeten Quellen befassten sich mit der Problematik auf nahezu allen von mir untersuchen Gesichtspunkten. Die erstmalige Sichtung der Quellen auf einzelne Abschnitte zu beschränken schien mir künstlich, da sich viele Lösungsansätze am besten in ihrer Gesamtheit erschließen. Es wäre aber unökonomisch gewesen, jede Quelle wieder und wieder zu lesen, nur weil ich gerade bei einem neuen Kapitelabschnitt angekommen war.

Wie lief das Schreiben bei Dir ab? Hast Du von Anfang an geschrieben oder erst nach Abschluss der Recherche? Hast Du Tipps und Ratschläge zum Schreiben?

Ich habe erst nach Abschluss der Recherche mit dem eigentlichen Verfassen der Arbeit begonnen. Das hat einerseits dazu geführt, dass es lange gedauert hat, bis ich die ersten Seiten geschrieben hatte. Andererseits habe ich dadurch aber auch nichts mehr nachträglich rausstreichen müssen.

Mein Tipp ist, sich klarzumachen, dass es zwei grundverschiedene Herangehensweisen gibt: Entweder man schreibt sehr früh und recherchiert parallel weiter. Das führt ggf. dazu, dass man bereits verschriftliche Teile seiner Promotion im Nachhinein noch grundlegenden Änderungen unterzieht oder sie schlimmstenfalls rausstreicht. Es bringt aber den Vorteil mit sich, dass man schon früh Erfolgserlebnisse hat. Ein Freund von mir formulierte das mal etwa so: „Wenn man die ersten 100 Seiten seiner Doktorarbeit mal geschrieben hat, wirft man auch nicht mehr das Handtuch.“

Oder man recherchiert erst mal ganz viel und beginnt erst spät mit der Verschriftlichung. Auf diesem Wege behält man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die geschriebenen Teile gänzlich bei. Es bringt aber den Nachteil mit sich, dass man bis zur Verschriftlichung eine lange Durststrecke durchläuft, in der die bereits geleistete Arbeit quasi unsichtbar bleibt.

Das ist schlichtweg Typsache und man sollte sich nicht davon unter Druck setzen lassen, dass es andere anders machen.

Hattest Du irgendein Forum für Austausch mit anderen Doktorand*innen? Eine Arbeitsgruppe?

Ich habe eine gute Freundin, die zeitgleich ihre Promotion bei derselben Doktormutter abschloss. Wir waren keine Arbeitsgruppe, haben uns aber immer wieder gegenseitig aus Motivationstiefs geholt.

Hast Du einen Forschungsaufenthalt oder Ähnliches gemacht? Wo? Und was hat es Dir gebracht?

Ich habe einen dreimonatigen Forschungsaufenthalt an der Columbia Law School in New York absolviert. Er hat mir dahingehend sehr viel gebracht, dass ich meine Kenntnisse im Schiedsverfahrensrecht und im amerikanischen Prozessrecht erweitern konnte, viele spannende Menschen kennen gelernt habe und den Aufenthalt und meine damit verbundenen Reisen sehr genossen habe.

In meiner Doktorarbeit hat sich davon allerdings nur wenig niedergeschlagen, da ich im Nachhinein den Fokus meiner Doktorarbeit so verschoben habe, dass der rechtsvergleichende Teil zum amerikanischen Recht keinen Eingang mehr in die verschriftliche Fassung gefunden hat. Für meinen weiteren Werdegang hat sich der Aufenthalt trotzdem gelohnt. 

Wenn Du Dir selbst früher oder heute anfangenden Doktorand*innen drei Tipps bzw. Ratschläge geben könntest – welche wären das?

Ich möchte an dieser Stelle drei sehr persönliche Tipps geben, die insbesondere (werdenden) Eltern dabei helfen können, auch neben der Zeit mit ihren Kindern mit ihrer Promotion unter erschwerten Bedingungen voran zu kommen:

  1. Sei flexibel. Ich persönlich war z.B. während meiner ersten Schwangerschaft oftmals sehr müde und habe tagsüber geschlafen. Trotzdem konnte ich nachts nicht schlafen. Also habe ich irgendwann nachts an meiner Doktorarbeit geschrieben, wenn ich nicht schlafen konnte. So habe ich die durch die Müdigkeit am Tag ‚verlorene‘ Zeit nachts wieder wettmachen können. Als mein Sohn in die Kita ging, habe ich meinen Arbeitsplatz kurzerhand in ein Café um die Ecke der Kita verlegt. So habe ich zweimal täglich Wegzeiten gespart und keine Zeit dadurch verloren, mir Verpflegung zuzubereiten. Das war in dem Moment teuer. Ich habe es aber als finanzielle Investition in meine Promotion gesehen und ausgerechnet, dass es in summa günstiger ist, wenn ich meinen Berufseintritt dadurch nach vorne ziehe.
  2. Nutze jede Gelegenheit für die Promotion, die sich bietet. Ich dachte vor meinen Kindern immer, dass ich mindestens mehrere Stunden am Stück für die Diss bräuchte. Anderenfalls würde es sich gar nicht lohnen anzufangen. Irgendwann aber habe ich angefangen, selbst die 10 Minuten zu nutzen, die spontan dadurch frei wurden, dass meine Tochter auf dem Weg zur Kita im Kinderwagen eingeschlafen ist, wenn wir auf dem Weg waren, ihren Bruder abzuholen. Zur Not habe ich diese 10 Minuten auf der Parkbank verbracht und Fußnoten überarbeitet.
  3. Verschwende keine Energie damit, Dich darüber zu ärgern, dass Zeit für die Diss wegfällt, weil z.B. ein Kind krank ist. Mir persönlich ist gerade das am Anfang sehr schwergefallen. Ich profitiere aber bis heute von der veränderten Einstellung. Leben und Arbeiten mit Kindern ist einfach weniger vorhersehbar als ohne Kinder. Und anstrengender. Daher braucht man die Kraft schlicht für anderes.

Zu den drei Tipps ist mir jedoch wichtig zu betonen, dass man seine Diss auch mit Kind(ern) sicher ganz anders schreiben kann. Die vorgenannten Tipps sollten auf gar keinen Fall Druck erzeugen. Mir ist bewusst, dass die Kraft, die finanziellen Mittel oder die Motivation für die vorgenannten Beispiele fehlen können. Wie beim Promovieren allgemein muss hier jede*r schlicht ihren*seinen eigenen Weg finden.


Das Interview wurde im Mai/Juni 2021 geführt.