Viele, die nach dem Studium nicht sofort ins Referendariat oder nach dem Referendariat nicht sofort in die Arbeitswelt starten wollen, schwanken zwischen einer Promotion und einem LL.M. Nachdem ich gerade von meinem LL.M.-Studium an der University of Pennsylvania Carey Law School zurückgekehrt bin (einen Erfahrungsbericht findet ihr auf der empfehlenswerten Seite LL.M. Essentials), kann ich jetzt aus eigener Erfahrung die Unterschiede beleuchten.
Am 25.7.23 findet in Kooperation mit LL.M. Essentials ein Webinar zum Thema “Dr. oder LL.M.?” statt, bei dem wir mit verschiedenen Referierenden darüber sprechen, ob Promotion und LL.M.-Studium eine sinnvolle Zusatzqualifikation sind. Wir stellen die Gründe vor, die für und gegen den jeweiligen „Titel“ sprechen und geben Tipps, wie man beides am besten kombinieren kann. Im Anschluss besteht die Möglichkeit, individuelle Fragen zu stellen. Weitere Infos gibt es auf LinkedIn. Zur Anmeldung geht es hier.
Was ist eigentlich ein LL.M.?
LL.M. steht für “Master of Laws” und bezeichnet demnach Masterstudiengänge für Jurist*innen. Typischerweise studiert man ein Jahr lang an einer Uni im Ausland fremdes Recht, um den Abschluss zu bekommen, nicht immer ist damit auch eine Masterarbeit verbunden. So ein LL.M. kann auch die Grundlage dafür bilden, um die Anwaltszulassung (“Bar Exam”) im jeweiligen Land zu machen und dort zu arbeiten. Die meisten deutschen LL.M.s kehren aber nach Deutschland zurück.
In diesem Beitrag geht es um die “klassischen” LL.M.s im (meist englischsprachigen) Ausland. Auf fachspezifische LL.M.s, die manche deutsche Universitäten für deutsche Jurist*innen anbieten, treffen viele der hier angesprochenen Punkte nicht zu und mir fehlt auch die Erfahrung, um darüber qualifizierte Aussagen zu treffen.
Schnellübersicht
LL.M. | Promotion | |
formale Voraussetzungen | abgeschlossenes Studium, Sprachkenntnisse (Toefl oÄ) | in der Regel Prädikatsexamen, Dispens möglich |
Dauer | ein Studienjahr | in der Regel 2-5 Jahre |
Kosten | in den USA derzeit ca. 100.000 Euro (ohne Stipendien) | kaum direkte Kosten, Nebenjob üblich |
Inhalt | verschiedene Studieninhalte je nach Kursangebot der Uni (Vorlesungen, Seminare, Law Clinics…), entweder breit gefächert oder fachspezifisch | vertieftes wissenschaftliches Arbeiten an einem Thema im eigenen Interessengebiet |
Persönliches | Auslandserfahrung & Sprachkenntnisse | Flexible Ausgestaltung |
Karriere | vor allem in internationalen oder international tätigen Großkanzleien sehr geschätzt | unabdingbar für wissenschaftliche Karrieren, in vielen (deutschen) Kanzleien gern gesehen |
Formale Voraussetzungen
Für die Promotion muss man bestimmte Noten aus dem Ersten Staatsexamen mitbringen (mehr dazu hier). Für ein LL.M. Studium gibt es neben dem abgeschlossenen Studium in der Regel keine expliziten Voraussetzungen bezüglich der Noten. Natürlich wird man auch anhand der Noten bewertet (und die Verantwortlichen wissen häufig mehr über das deutsche Jurasystem als man vorher vielleicht glaubt), aber es fließen auch noch viele andere Aspekte mit in die Studierendenauswahl ein. Außerdem gibt es neben den sehr prestigeträchtigen Universitäten, die jede*r kennt, auch einige kleinere, aber dennoch gute Programme, an denen die Chancen, genommen zu werden, auch ohne Top-Noten ganz gut stehen. Unabdingbare Voraussetzung für den LL.M. sind dagegen gute Englischkenntnisse (oder entsprechende andere Sprachkenntnisse), die meist mit dem Toefl oder einem vergleichbaren Zertifikat nachgewiesen werden müssen.
Dauer und Kosten
Die klassischen LL.M.s dauern ein Studienjahr, d.h. von August/September bis Mai/Juni, manchmal auch bis Oktober, wenn eine Masterarbeit verlangt wird. Nur vereinzelt gibt es juristische Master, die auf zwei Jahre ausgelegt sind. Demgegenüber ist die Promotion weniger planbar und in der Regel deutlich länger, ca. 2-5 Jahre, je nach Thema und Rahmenbedingungen. Ein Teil dieser Zeit überschneidet sich aber üblicherweise mit Referendariat oder Berufseinstieg, insbesondere während die Schriftfassung schon abgegeben wurde und nur noch Disputatio/Rigorosum und Veröffentlichung anstehen. Die intensive Arbeit an der Dissertation dauert in der Regel ca. 2-3 Jahre.
Der Beginn bei der Promotion ist spontaner und flexibler möglich, da es primär darauf ankommt, eine betreuende Person zu finden und dann sofort begonnen werden kann. LL.M.s sind auf das akademische Jahr festgelegt. Sie beginnen in der Regel im September oder Oktober und man muss sich an den meisten Universitäten ein knappes Jahr vorher (November/Dezember) bewerben. Je nachdem, wie vorausschauend man plant, können also zwischen Ende des Studiums oder Referendariats und Beginn des LL.M.s mehrere Monate oder sogar mehr als ein Jahr liegen.
Viele schrecken beim LL.M. vor den Kosten zurück: ohne Stipendien muss man für ein LL.M.-Studium in den USA derzeit mit Kosten in Höhe von etwa 100.000 Euro für Studiengebühren, Versicherung, Wohn- und Lebenshaltungs- sowie Reisekosten rechnen. Auch ein LL.M. in Großbritannien ist häufig nicht wesentlich günstiger. In manchen anderen Ländern muss man dagegen deutlich weniger bezahlen, allerdings werden diese auf dem Arbeitsmarkt (ob zu Recht oder zu Unrecht) nicht unbedingt gleichermaßen wertgeschätzt. Wem es aber primär auf die Erfahrung und den eigenen Erkenntnisgewinn ankommt, für den können Länder abseits des Mainstream eine echte Alternative sein.
Aber auch für das Studium in den USA oder Großbritannien gibt es einige Möglichkeiten der Finanzierung: neben Stipendien der Universitäten (in Form von reduzierten Studiengebühren) gibt es einige deutsche und internationale Stipendiengeber sowie speziell auf Auslandsmaster zugeschnittene Studienkredite. Manche große Kanzleien bieten ihren Anwält*innen außerdem die Möglichkeit, einen (voll- oder teilfinanzierten) LL.M. (häufig im sogenannten “Executive Track”) zu machen
Auf den ersten Blick sind die Kosten einer Promotion nahe Null (Semesterbeiträge) beziehungsweise sogar “negativ”: Es ist üblich, während der Promotionszeit einem Nebenjob nachzugehen, zum Beispiel als wissenschaftliche*r Mitarbeiter*in an einem Lehrstuhl oder in einer Kanzlei. Bei solchen Tätigkeiten verdient man in der Regel genug, um ein einigermaßen bequemes Leben zu führen. Man muss also in die Promotionszeit nicht direkt investieren. Daneben gibt es auch Promotionsstipendien. Allerdings sollte man auch Opportunitätskosten nicht völlig außer Acht lassen: während der 2-3 Jahre intensiver Promotionszeit verdient man deutlich weniger als man verdienen würde, wenn man direkt in den Job starten würde. Dann kommt man je nach Gehaltsklasse auch locker auf mittlere fünfstellige “Kosten” im Vergleich zum direkten Jobeinstieg ohne Promotion. Ob diese Opportunitätskosten auch gefühlsmäßig das Gleiche sind, wie die Kosten für einen LL.M. (bei denen man dann fairerweise auch den vollständigen Verlust eines Jahresgehalts berücksichtigen muss) muss jede*r für sich selbst entscheiden.
Inhaltliches
In der Promotion beschäftigt man sich über viele Monate mit einer einzigen Forschungsfrage (oder einem Themenkomplex). Dafür muss man ganz tief in ein Rechtsgebiet einsteigen und wird zum*zur echten Experten*in. In gewissen Grenzen (man muss schließlich eine*n passende*n Doktormutter*vater finden) kann man sich dieses Thema und Rechtsgebiet selbst aussuchen und wirklich die eigenen Interessen verfolgen. Die Promotionszeit hebt sich deutlich vom normalen Studium ab, selbst das Schreiben von Haus- oder Seminararbeiten sind nur bedingt vergleichbar.
Das LL.M.-Studium ist dagegen in erster Linie ein klassisches Studium. Das bedeutet, dass man Vorlesungen und Seminare besucht, Hausarbeiten und Klausuren schreibt. Inhaltlich kann man sich zwar die Kurse meist relativ frei aussuchen, aber man ist dabei auf das beschränkt, was eben angeboten wird. Während es in der Promotion um Tiefe geht, ist der LL.M. breiter aufgestellt. Allerdings gibt es in vielen LL.M.-Studiengängen auch Spezialisierungen. Außerdem gibt es, vor allem in den USA, auch Kurse, die an deutschen Fakultäten so nicht angeboten werden. An meiner Law School konnte man zum Beispiel in einem Kurs ins Kunstmuseum gehen und Bilder in ihrer Beziehung zum Recht analysieren oder in einem anderen Kurs Führungsqualitäten ausbauen. Auch ein LL.M.-Studium ist daher nur bedingt mit dem Studium in Deutschland vergleichbar – es kommt vor allem darauf an, was man wählt.
Während der Promotion erlernt man viele Dinge, die auch für das Arbeitsleben unerlässlich sind: Recherche, strukturiertes Schreiben, Argumentieren, Überarbeiten, Eigenorganisation, Disziplin, Frustrationstoleranz. Im LL.M. verbessert man Sprachkenntnisse und erlernt fremdes Recht. Dabei vergleicht man fast automatisch mit der eigenen Rechtsordnung, hinterfragt und versteht diese viel besser. Das kann ganz besonders in der Kommunikation mit Jurist*innen aus dem Ausland helfen. In einigen Veranstaltungen, zB Law Clinics, erlernt man auch praktische Fähigkeiten.
Karriere
Nicht ausschlaggebend, aber auch nicht völlig unbedeutend sind die Auswirkungen auf Karrierechancen.
Noch vor einigen Jahren habe ich von vielen Personalabteilungen in großen Kanzleien gehört, dass es ihnen fast egal sei, ob man den Doktortitel oder einen LL.M. mitbringt, beides wirke sich in etwa gleich positiv auf die Einstellungs- und Aufstiegschancen sowie Gehaltsverhandlungen aus. Mittlerweile ist mein Eindruck, dass der Trend eher zur Präferenz für einen LL.M. geht, jedenfalls in internationalen Großkanzleien. Das ist auch nachvollziehbar: mit dem LL.M. weist man ein hohes Englischniveau nach, dass in international arbeitenden Kanzleien unerlässlich ist. Außerdem können internationale Mandant*innen und vor allem Kolleg*innen häufig mehr mit einem Master an einer bekannten Uni anfangen als mit einem Doktortitel, der im Ausland außerhalb der Wissenschaft fast überall unüblich ist. Auch ein im Anschluss an den LL.M. abgelegtes Bar Exam kann da eine gewisse Signalwirkung haben. Während des LL.M. baut man außerdem ein internationales Netzwerk auf, das sehr wertvoll sein kann.
Andererseits gibt es nach wie vor ein paar Kanzleien (und Partner*innen), bei denen ein Doktortitel mehr oder weniger strikte Einstellungsvoraussetzung ist. Das sind vor allem mittlere und große deutsche Kanzleien und spezialisierte Boutiquen. Ganz besonders beliebt ist es dabei, wenn man seine Doktorarbeit gleich im passenden Rechtsgebiet und zu einem praxisrelevanten Thema geschrieben hat. Mein Eindruck ist, dass in der Richter- und Staatsanwaltschaft sowie in der öffentlichen Verwaltung Doktortitel (noch?) verbreiteter sind als LL.M.s, wobei keins von beidem ein “Muss” ist und ich auch keine Kenntnisse über konkrete Vorteile habe. Bei deutschen Mandant*innen dürfte der Doktortitel mehr Expertise vermitteln, als “diese komische Buchstabenfolge” am Ende des Namens. Manche junge Anwältinnen oder Richter berichten, dass Ihnen der Doktortitel in manchen Situationen mehr Respekt verschafft hat – vom LL.M. habe ich das so noch nie gehört. Wer in die Wissenschaft möchte, kommt natürlich an der Promotion nicht vorbei, allerdings gibt es mittlerweile auch viele Professor*innen, die beides gemacht haben.
Kurzum: beide Titel haben Vorteile. Die Wahl dazwischen würde ich persönlich nur dann von der Karriereplanung abhängig machen, wenn man schon konkrete Vorstellungen von der beruflichen Zukunft hat.
Persönliche Erfahrung
Für viele liegt der Reiz am LL.M. vor allem in der persönlichen Erfahrung. Es kann wirklich sehr bereichernd sein, ein Jahr in einem ganz anderen Land zu leben und Menschen aus unterschiedlichen Kulturen kennenzulernen. Außerdem ergeben sich während eines LL.M. häufig auch viele Reisemöglichkeiten. Und für Viele ist der LL.M. nochmal eine Gelegenheit, das Studierendenleben richtig zu genießen. Allerdings ist ein Jahr in der Fremde eine Herausforderung, die auch schwer fallen kann, zum Beispiel die Trennung von Partner*in, Freund*innen und Familie oder die Umstellung auf andere Sitten und Gebräuche. Hier sollte man vorher ehrlich mit sich selbst sein, ob das zu einem passt.
Demgegenüber wirkt die Promotion wie die langweiligere und sicherere Variante: man bleibt (in der Regel) in Deutschland, häufig sogar in einer Stadt, die man schon kennt. Allerdings gehört es zur Promotion fast schon dazu, dass man sich auch mal durchbeißen muss – und zur Wahrheit gehört auch, dass nicht alle, die mit der Promotion beginnen, am Ende auch wirklich einen Doktortitel erwerben. Auf der anderen Seite gibt die Promotionszeit häufig sehr viel Freiheit in der eigenen Lebensgestaltung – mehr als man im typischen Berufsleben je haben wird. Und es gibt viele Möglichkeiten, die Promotion individuell zu gestalten, zum Beispiel durch einen Forschungsaufenthalt oder die Teilnahme an Konferenzen. Auch die Promotion muss also nicht nur allein im stillen Kämmerlein stattfinden.
Ist eine Promotion oder ein LL.M. die richtige Wahl für mich?
In die Beantwortung dieser Frage fließen sehr viele, auch sehr individuelle Faktoren ein. Natürlich kann sie jede*r nur für sich selbst beantworten. Wiegt die Lust auf Auslandserfahrung mehr oder lockt das Vertiefen eigener Interessen und Entwickeln eigener Ideen? Kann (und will) man den LL.M. finanzieren und wird man die Promotion auch erfolgreich abschließen können?
Mein ganz persönlicher Rat lautet: fragt euch nicht “Entweder Oder”, sondern “was ist mir gerade wichtiger?”. Es gibt auch später noch Möglichkeiten, das jeweils andere nachzuholen, man kann beides direkt hintereinanderschalten oder das Referendariat dazwischen schieben und sowohl LL.M.s als auch Doktortitel lassen sich bei ausreichender Motivation und Disziplin berufsbegleitend erwerben. Wenn man sich das bewusst macht, ist es eher die Frage, worauf man eher verzichten kann, wenn es nachher nicht mit beidem klappt, oder worauf man jetzt gerade mehr Lust hat.