Die zweitgrößte Gruppe innerhalb der Four Tendencies*) sind die Questioner oder Hinterfrager. Für sie sind nur innere Erwartungen wichtig, an äußere Erwartungen fühlen sie sich nicht gebunden. Wer mehr zu Questionern generell wissen möchte, dem empfehle ich diese Podcast-Folge. In diesem Quiz kann man herausfinden, welchem Persönlichkeitstyp man entspricht.
Dass Obliger nur innere Erwartungen erfüllen wollen, macht sie perfekt geeignet für die weitgehend selbstbestimmte Arbeit an der Dissertation. Dennoch hat natürlich auch diese Gruppe Schwächen, die es auszugleichen gilt. Dafür gibt es im wesentlichen drei Hilfsmittel: eine Begründung finden, eigene Systeme schaffen (“customize”) und für Effizienz sorgen. Ganz allgemein sollten Questioner bei der Entscheidung für die Promotion dafür sorgen, dass sie eine klare Begründung haben, warum sie promovieren wollen, und diese Begründung am besten aufschreiben, damit sie immer wieder zu ihr zurückkehren können, wenn sie Schwierigkeiten haben.
Ein erster Stolperstein für Questioner kann es sein, dass ihnen auch in der Promotionszeit (scheinbar) willkürliche Regeln begegnen. Das können zum Beispiel Büroöffnungszeiten sein oder Fristen, die vom Betreuer oder der Betreuerin vorgegeben werden. Natürlich können Questioner zunächst versuchen, sich von diesen Regeln zu befreien, zum Beispiel indem sie einen eigenen Schlüssel nicht nur für ihr Büro, sondern für das Gebäude bekommen oder ihren Betreuer überzeugen, dass sie ohne fremde Fristen besser arbeiten.
Wenn das nicht funktioniert, können sie versuchen, sich selbst durch eine “Zweite Reihe”-Begründung zu überzeugen: “Ich möchte von meiner Doktormutter betreut werden, also muss ich mich an ihre Fristen halten.” Damit diese Begründung funktioniert, sollten Questioner aber auch eine gute Begründung haben, weshalb sie überhaupt einen Doktortitel wollen und weshalb sie gerade bei diesem Betreuer oder dieser Betreuerin sind. Questioner haben außerdem häufig die Eigenschaft, dass sie selbst gewählten Experten vertrauen. Als Doktorand*in kann sich ein Questioner also daran erinnern, warum sie*er gerade diese*n Betreuer*in ausgewählt hat. Sie*er ist ein*e Expert*in und hat Erfahrung in der Betreuung von Doktorand*innen, weiß also, welcher Weg der beste ist.
Willkürlich können auch selbst gesetzte Fristen und Stichtage zum Beispiel für die Abgabe der Dissertation oder für ein Kapitel sein. Questioner sollten versuchen, nicht einfach irgendwelche Termine zu wählen, sondern für diese noch bestimmte Begründungen zu haben. Ich habe mir (ohne Questioner zu sein) zum Beispiel die Abgabefrist für meine Dissertation so gelegt, dass ich im Dezember 2019 ins Referendariat starten konnte. Den Dezember 2019 habe ich zum Einen gewählt, weil in diesem Monat Referendare ans LG Köln und LG Bonn zugewiesen werden, zum Anderen, weil ich nicht wollte, dass die stressige Phase der Bewerbung für einen LL.M. mit den letzten Monaten vor den Klausuren des zweiten Staatsexamens zusammenfällt. Die Begründung für die Abgabe eines Kapitels könnte zum Beispiel ein gebuchter Urlaub sein, in den man mit dem guten Gefühl eines sinnvollen Abschlusses gehen möchte.
Ein anderes Problem ist “Analyse-Paralyse”. Weil Questioner so gerne recherchieren und am liebsten alle relevanten Informationen haben möchten, können sie sich selbst blockieren.
Das kann die wissenschaftliche Arbeit als solche betreffen. Es fällt vermutlich den meisten Doktorand*innen schwer, eine Grenze zu ziehen, wo sie mit der Recherche aufhören sollen, und die Quellen auszuwählen, die sie lesen müssen und möchten. Für Questioner ist das aber besonders schwer, weil sie eben Recherche lieben. Sie sollten sich dafür vorher ein eigenes System überlegen, nach dem sie die Relevanz von Quellen einordnen. Mögliche Faktoren könnten zum Beispiel das Alter der Quelle sein, wer sie geschrieben hat, wie häufig sie zitiert wurde, wie nah sie am Kernthema der eigenen Arbeit ist. Wenn sie das System selbst erarbeitet haben und von seiner Validität überzeugt sind, kann es einfacher sein, sich daran zu halten. Zusätzlich können Questioner darauf achten, dass sie die Systeme möglichst effizient ausgestalten, weil Questioner typischerweise Effizienz lieben. Sie können das System dafür so aufbauen, dass sie möglichst schnell die Literatur eingrenzen und so möglichst wenig Zeit mit der Frage nach dem “ob” des Lesens einer Quelle verbringen.
Zum anderen können Questioner aber auch Probleme damit haben, dass sie zunächst die effizienteste Arbeitsweise für sich herausfiltern wollen. Die Freiheiten der Promotionszeit führen dazu, dass sie nie anfangen: “Questioners may also need to take steps to deal with analysis-paralysis, because going solo requires many complex decisions: […] A Questioner working alone may become frozen with indecision.”** In Bezug auf die Dissertation können das Fragen sein, wie die eigene Arbeitszeit, die Formatierung des Dokuments, die Zitierweise, die Literaturverwaltung… All diese Fragen haben ihre Berechtigung, aber es sollten nicht ganze Wochen und Monate darüber vergehen. Eine mögliche Strategie kann es sein, Rat von einer*m Expert*in einzuholen, dem der Questioner vertraut und die Arbeitsweise zu übernehmen. Das kann der eigene Betreuer sein, eine Mentorin, ein Kollege, dieser Blog… Eine andere Möglichkeit ist es, sich eine klare Frist zu überlegen, bis wann man diese Fragen abgeschlossen haben möchte – und dabei wieder den Rat von oben zu beachten, sich auch für diese Frist eine Begründung zu überlegen.
Generell sollten sich Questioner (und viele andere Doktorand*innen) an den Rat erinnern, den Prof. Dr. Sanders in ihrem Interview geteilt hat: „Jedes schlechte Buch hat einen Vorteil: Es ist fertig“.
Questioner hassen ganz besonders unsinnige und repetitive Aufgaben. Leider gibt es bei der Arbeit an der Dissertation eine ganze Reihe von Aufgaben, die nicht besonders spannend sind, zum Beispiel Literatur kopieren, Fußnoten erstellen, das Literaturverzeichnis kontrollieren…
Zunächst kann man für alle diese Aufgaben durchaus Begründungen finden. Zum Beispiel helfen Fußnoten den Lesern dabei, sich selbst tiefer einzulesen*** und machen den Text überzeugender, das Literaturverzeichnis signalisiert den Gutachtern, dass man eine weitreichende Recherche gemacht hat etc.
Eine andere Möglichkeit ist es auch hier, sich eigene und effiziente Systeme zu überlegen. Das kann zum Beispiel auch ein Literaturverwaltungsprogramm wie Citavi sein, dass viel repetitive Arbeit abnimmt.
Wenn nichts anderes hilft: “It’s important for Questioners to remind themselves to do what they must so that they can do what they want.”**** Auch hier greift also wieder eine “Zweite Reihe”-Begründung: wer einen Doktortitel haben möchte, muss eben diese Aufgaben erledigen.
*) Gretchen Rubin “The Four Tendencies” bzw. zu deutsch: “Die vier Happiness-Typen”.
**) “Questioner müssen gegebenenfalls auch Schritte unternehmen, um mit Analyse-Paralyse umzugehen, denn um ihren eigenen Weg zu gehen, müssen sie viele Entscheidungen treffen: […] Ein Questioner, der alleine arbeitet, kann von seiner Unentschlossenheit gelähmt werden.”
***) Allerdings werden Questioner laut Gretchen Rubin paradoxerweise selbst nicht gern hinterfragt, möglicherweise ist diese Begründung für Questioner also nicht überzeugend – ich würde mich über Feedback seitens Questioner-Leser*innen hierzu freuen.
****)”Es ist wichtig für Questioner, sich daran zu erinnern, dass sie das tun, was sie tun müssen, um dass zu tun, was sie tun wollen.”
Habt ihr als Questioner Methoden gefunden, die für euch besonders gut funktionieren? Oder kennt ihr Questioner-Doktoranden in eurem Umfeld?
Hier geht es zu allen Teilen der Four Tendencies Reihe:
Teil 1 – Mithilfe der Four Tendencies zur Dissertation
Teil 2 – Äußere Erwartungen kreieren für Obliger
Teil 3 – Warum? Darum! – Motivation für Questioner
Teil 4 – Äußere und innere Erwartungen zum Ausgleich bringen als Upholder
Teil 5 – Als Rebell ohne Erwartungen ans Ziel