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Wenn man an einem so langen und aufwändigen Projekt wie der Dissertation arbeitet, kommt irgendwann unweigerlich der Punkt, an dem man betriebsblind wird und das gleich in zweierlei Hinsicht: zum einen ist man irgendwann so tief in der Materie, dass bestimmte Grundannahmen oder Bestandteile der eigenen Lösung selbstverständlich werden, die es eigentlich nicht sind. Für den*die Doktorand*in gehören diese Aspekte im Sinne “sachgedanklichen Mitbewusstseins” ganz natürlich dazu, aber für die Leser*innen muss es explizit gemacht werden. Zum anderen entdeckt man irgendwann im eigenen Text unverständliche Passagen und krumme Formulierungen nicht mehr. Dann ist es gut, wenn man ein frisches Paar Augen hat, die sich die Texte anschauen oder mit denen man über die eigene Lösung oder eigene Argumente diskutieren kann.

Unterschiedliche Korrektor*innen

Da man als Doktorand*in mit der Zeit diese zwei unterschiedlichen Defizite entwickelt – sicherlich je nach Person und Thema in unterschiedlichen Ausmaßen – ist es sinnvoll, sich auch unterschiedliche Hilfe bei der Überarbeitung für beide Aspekte zu suchen.

Für die Fragen, welche Grundannahmen nicht selbstverständlich sind und um die Argumentation und Überzeugungskraft der eigenen Lösung zu überprüfen, sollte man sich juristisch vorgebildete Personen suchen. Es kann hilfreich sein, wenn diese Personen sich auch in dem konkreten Rechtsgebiet ein wenig auskennen, für manche Fragen ist das aber auch hinderlich, weil auch sie dann vielleicht schon ein Stück weit betriebsblind sind. Meines Erachtens sollte eine Dissertation vom gesamten juristischen Fachpublikum verstanden werden, auch von denen, die im jeweiligen Rechtsgebiet allenfalls Grundkenntnisse aus dem Hauptstudium mitbringen. Deshalb sollte man zur Überprüfung der Argumentation nicht nur Lehrstuhl-Kolleg*innen und Jurist*innen aus dem eigenen Fachbereich heranziehen, sondern auch ein paar (Ex-)Kommiliton*innen, die nur ein allgemeines Interesse mitbringen. Für die inhaltliche Überarbeitung ist es nicht unbedingt erforderlich, dass die Personen den Textentwurf lesen. Oft reicht es, über bestimmte Fragen zu diskutieren. Das kann nebenbei mit Kolleg*innen auf dem Flur, in einer Doktorand*innengruppe oder bei einem Vortrag auf einer Nachwuchstagung. Natürlich sind auch inhaltliche Gespräche mit der betreuenden Person eine wichtige Hilfestellung. Auch wenn Diskussionen hier viel helfen können, sollte man im Idealfall die Dissertation mindestens einmal von einer juristisch vorgebildeten Person Korrektur lesen lassen. Auf dem Papier wirken Argumente manchmal anders, können mehr oder weniger verständlich oder überzeugend sein.

Hingegen bietet es sich für die sprachliche Überarbeitung an, (auch) nicht-Jurist*innen einzubeziehen. Wer das Glück hat, im Bekanntenkreis oder der Familie Journalist*innen, Lektor*innen oder andere Personen zu haben, die beruflich Texte schreiben und korrigieren, kann ganz besonders von so einer sprachlichen Überarbeitung profitieren. Aber auch Freund*innen, Geschwister oder Eltern ohne juristische Vorbildung mit gutem Sprachgefühl können wertvolle Hilfe geben. Auch juristische Leser können natürlich sprachlich korrigieren. Aus meiner Sicht sollte man dennoch die Arbeitsschritte trennen. Denn wer sich nicht so sehr auf den Inhalt konzentriert, ist aufmerksamer für sprachliche Stolpersteine. Natürlich passiert es, dass Nicht-Juristen juristischen Fachjargon anstreichen. Es ist immer Aufgabe des*r Doktoranden*in, kritisch zu hinterfragen, welche Anmerkungen er*sie umsetzen möchte und wie das konkret passiert.

Die Korrektur organisieren

Viele potentielle Korrekturleser*innen – ob juristische oder sprachliche – haben nicht ausreichend Zeit, sich die Dissertation vollständig durchzulesen. Viele teilen die Dissertation in Kapitel oder Abschnitte auf und verschicken sie an unterschiedliche Korrektor*innen. Gerade für die inhaltliche Korrektur ist es aber von Vorteil, wenn mindestens eine Person die Dissertation am Stück liest. Eine Möglichkeit, um das zu erreichen, ist ein Tausch mit einem*er anderen*er Doktoranden*in, die*der einen ähnlichen Abgabetermin hat. Der Bonus dieses Vorgehens ist, dass man beim korrigierenden Lesen fremder Texte auch viel für eigene Texte lernen kann.

Der ideale Zeitpunkt für inhaltliches Korrekturlesen ist einige Monate vor der geplanten Abgabe. Zwar werden die wenigsten Dissertationen dann schon fertig sein, man kann aber einzelne bereits geschriebene Kapitel an Korrekturleser*innen verschicken. Es sollte nach der inhaltlichen Korrektur in jedem Fall noch genug Zeit für wesentliche Änderungen bleiben. Für die sprachliche Korrektur reichen dagegen wenige Wochen vorher, da es nur noch um das Fine-Tuning geht.

Man sollte Korrekturleser*innen allein schon deshalb wertschätzen, weil sie viel Zeit ins Lesen investieren – auch wenn sie möglicherweise nur einige Abschnitte lesen. Daher sollte man die Korrektur möglichst angenehm gestalten, indem man die Personen frühzeitig fragt, ob sie bereit sind, Korrektur zu lesen, und dabei schon den ungefähren Zeitpunkt der Korrektur, die Länge des zu korrigierenden Abschnitts und den Zeitraum, den man zum Lesen eingeplant hat, offen legt. So können potentielle Korrekturleser*innen informiert entscheiden, ob das für sie passt und sich im entsprechenden Zeitraum ausreichend Zeit frei halten. An den Abgabetermin sollte man sich der Fairness halber auch halten. Und selbstverständlich sollte man sich bedanken, wenn man die Korrektur zurück erhält.

Für ein gutes Korrekturerlebnis für beide Seiten ist es außerdem von Vorteil, Erwartungen zu definieren. Die korrigierende Person sollte wissen, ob von ihr inhaltliches und/oder sprachliches Feedback erwartet wird, in welchem Stadium sich die Arbeit befindet, ob die Dissertation noch gekürzt werden muss etc. Man sollte auch vorab klären, in welcher Form die Korrektur passieren soll. Üblich und sinnvoll ist eine Korrektur direkt im (Word-)Dokument mit der Änderungen-nachverfolgen-Funktion und/oder Kommentaren am Rand. Wenn man einzelne Abschnitte verschickt, ist es außerdem hilfreich, den Kontext des Abschnitts zu erklären, indem man das Inhaltsverzeichnis der gesamten Dissertation mit verschickt und/oder zusammenfasst, was davor (und ggf. danach) thematisiert wurde/wird. Auch Hinweise zu etwa noch vorhandenen Platzhaltern, Markierungen oder Ähnlichem helfen, dass die korrigierende Person nicht zu viel Zeit mit unnötigen Überlegungen und Anmerkungen verbringt.

Zu guter letzt noch der Hinweis, dass man zwar im Idealfall mehrere Monate für die Überarbeitung mit mehreren korrigierenden Personen in mehreren Runden hat, die Realität bei fast allen Doktorand*innen aber anders aussieht. Viele haben am Ende nur noch wenige Wochen (wenn überhaupt) für die Korrektur. Mir sind Doktorand*innen bekannt, die keine Korrekturleser*innen hatten und dennoch gute Dissertationen abgegeben haben – es geht also auch ganz anders. Trotzdem: Ich persönlich habe von jeder einzelnen Person, die Teile meiner Arbeit oder die gesamte Dissertation gelesen hat, enorm profitiert.


Wie viele Korrekturleser*innen hattet ihr oder plant ihr zu haben? Habt ihr selbst schon mal eine Dissertation korrigiert – und was habt ihr daraus gelernt?

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